Die Killeralgen kommen – Überlegungen zur "Einwanderungsproblematik"
gregor dietrich
Von der "Thema"-Redaktion am 1. Juli (1997) medial aufbereitet, drang ein neues "Algenproblem" im Mittelmeer an die Öffentlichkeit. War die Victoriasee-Reportage über eine tatsächliche ökologische und soziale Katastrophe wenige Wochen zuvor sehr vereinfachend, so wurde der "Killeralge" Caulerpa taxifolia, die wohl ein ökologisches Problem mit durchaus auch einigen wirtschaftlichen Folgen darstellt, ihrer Wichtigkeit nach unverhältnismäßig viel Raum gegeben.
Was ist passiert?
Caulerpa taxifolia ist eine tropische tangartige Grünalge, die eine beliebte Aquarienpflanze für Meerwasseraquarien darstellt. Im weltbekannten Aquarium von Monaco wird zur Wassererneuerung altes Aquarienwasser direkt ins Meer geleitet. Irgendwie konnte sich die tropische Alge akklimatisieren und breitet sich mit einer Geschwindigkeit von ca. 200 m im Jahr aus. Für die Mittelmeerfauna ist die Alge unbrauchbar, teilweise angeblich sogar giftig ("Killeralge" – die tropischen Doktorfische beispielsweise fressen jedoch sehr gerne an Caulerpa-Arten). Außerdem werden andere Lebensräume überwachsen. Somit verlieren viele Arten ihren Lebensraum. Der Grund, warum ein leider so alltäglicher Fall solche Wellen schlägt, liegt darin, daß der Lebensraumverlust auch die Larvenstadien wirtschaftlich bedeutender Fische betrifft.
Kein Einzelfall
Daß wärmeliebende Organismen in gemäßigten Zonen Fuß fassen können, ist bereits ein Alter Hut: Afrikanische Papageien in Innsbruck, Flamingos in den Niederlanden, indische Töpferwespen in der Steiermark, Goldschakale im Waldviertel, Südafrikanische und Argentinische Wasserpest (Lagarosiphon major und Egeria densa) in mitteleuropäischen Gewässern etc. Auch explosionsartige Ausbreitung ist bekannt: Die Kanadische Wasserpest beispielsweise breitete sich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts so stark aus, daß sie die Schiffahrt behinderte. Bekämpft wurde sie lediglich durch Mähschiffe. In den 70ern wars dann aus mit dem Wuchern. Die Art hatte sich ökologisch eingenischt, und das Problem hatte sich von selbst gelöst. Ähnlich steht es beispielsweise mit dem Kleinblütigen Springkraut (Impatiens parviflora), verschiedenen Astern (Aster spp.) und Goldruten (Solidago spp.) und vielen anderen. In der Ausbreitungsphase befinden sich bei uns z. B. gerade der Flügelknöterich (Fallopia [Renoutria] japonica) und seit kurzem die Kaukasus-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) oder die Roßkastanien-Miniermotte, um auch ein zoologisches Beispiel zu nennen.
Phasen der Neueinbürgerung
Die meisten kultivierten Pflanzen und eingeführten Tiere können sich in unseren Natur- und Kulturlandschaften nicht für längere Zeit halten. Ob sie sich allerdings anpassen können ist nicht vorhersehbar: Natürlich haben Lebewesen aus ähnlichen Klimata bessere Chancen. Oft dauert es lange, bis sich eine Art akklimatisiert: das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera) wird seit dem 19. Jhdt. als Zierpflanze kultiviert, konnte aber erst nach dem 1. Weltkrieg über längere Zeit verwildern und begann sich Ende der 30er Jahre auszubreiten. Derzeit ist in Österreich das Ende der Ausbreitungsphase erreicht und die Einnischung erfolgt.
Es kommt erst zu gelegentlicher Verwilderung. Möglicherweise bleibt es dabei, oder es kommt zu einer oft rapiden Ausbreitung. In dieser Phase können ökologische Probleme auftreten, meist aber sind es massive wirtschaftliche Probleme, die die Aufmerksamkeit erregen. Das Drüsige Springkraut – ein harmloser Fall – verdrängte nur das heimische Rührmichnichtan (Impatiens noli-tangere). Der nächste Schritt ist die Einnischung. Um beim Springkraut zu bleiben: Die Nische, die früher die ureinheimische Art einnahm, zerfiel in drei getrennte Nischen, die sich auf unsere nunmehr drei Arten aufteilen.
Tatsächliche Katastrophen
Von der "Katastrophe" zum "gleichberechtigten Nebeneinander" ist es meist nur eine Frage der Zeit. Aber nicht immer: Ein kleiner Prozentsatz des kleinen Prozentsatzes der Arten, die bei uns Fuß fassen konnten, verändert Lebensräume derart, daß dies das Aus für ganze Biotoptypen und der auf diese angewiesenen Arten bedeutet. Diese Arten stellen tatsächliche ökologische Katastrophen dar. In der Zoologie gibt es dafür einige Beispiele, vor allem unter den Fischen. Am drastischsten ist wohl das des Nilbarsches im Viktoriasee, der nicht nur das größte bekannte Artensterben unter Wirbeltieren (250 Arten in 10 Jahren) einleitete, sondern auch für die Abholzung der Uferwälder (Feuertrocknung), dadurch Erosion, dadurch langsames Absterben des Sees und Hunger unter der Bevölkerung sorgte.
Aber es gibt auch – weltweit gesehen – zwei Baumarten, die so garnicht in das Bild vom "Bruder Baum" passen, das vor allem dem naiv-spirituellen Teil der Umweltbewegung am Herzen liegt: die in vielen Weltgegenden zur Entwässerung gepflanzten australischen Eucalyptus-Arten und -Hybriden sind nicht mehr loszuwerden, sorgen für weitere Austrocknung und damit für Trinkwasserknappheit, Bodenerosion und ruinieren die Landwirtschaft (spanische Erdbeeren müssen zunehmend mehr bewässert werden.).
Die zweite Art betrifft uns: Die Robinie, Robinia pseudacacia, fälschlich Akazie genannt. Diese nordamerikanische Art wächst leider auch dort, wo heimische Bäume nicht mehr können: sie hält extreme Trockenheit aus, wächst auch noch auf sehr flachgründigen Böden und lebt in Symbiose mit stickstoffbindenden Bakterien, die nicht nur auf nährstoffarmen Standorten die nötige Versorgung garantieren, sondern durch extreme Überdüngung andere Konkurrenten zum Absterben bringen. Durch Wurzelausläufer und starke Samenproduktion können in kurzer Zeit große Flächen erobert werden. Die Robinie zerstört vor allem die trockenen und nährstoffarmen Steppenreste (Trockenrasen), die mit intakten Auwäldern und Hochmooren zu den bedrohtesten Lebensräumen Mitteleuropas gehören. Die Trockenrasenbewohner vertragen weder Beschattung noch Düngung. Von den anderen Bäumen werden vor allem Eichen durch benachbarte Robinien zum Absterben gebracht. Robinien werden wegen ihrer "günstigen Eigenschaften" (Ausläufer, Nährstoff- und Wasserunabhängigkeit, Industriefestigkeit) noch immer gerne zur Böschungsbefestigung, beispielsweise entlang von Autobahnen, gepflanzt.
Das große Problem ist, daß solche Katastrophen nicht vorhersehbar sind, und man eigentlich in der oft problematischen Ausbreitungsphase, in der sich Caulerpa taxifolia befindet, keine Aussage darüber treffen kann, ob eine Art tatsächlich zum dauerhaften Problem wird.
Bekämpfung
Trotzdem wird an der Bekämpfung geforscht. Die karibische Meeresnacktschnecke Berthelina chloris frißt ausschließlich Arten der Gattung Caulerpa. Sie soll gezüchtet und ausgesetzt werden. Mit der unsinnigen Versicherung der Wissenschafter, sie würde die kühlen Wintertemperaturen nicht überleben. Der Aquarienstamm der Alge stammt ebenfalls aus der Karibik. Im Mittelmeer heimisch ist Caulerpa prolifera. Sie bewohnt alle wärmeren Meere, von den Tropen bis in die Subtropen und erreicht im Mittelmeer ihre nördliche Grenze. Sie wird von der Schnecke ebenfalls gefressen. Interessant ist übrigens, daß beide Caulerpa-Arten im natürlichen Verbreitungsgebiet sehr ähnliche ökologische Nischen besetzen, Caulerpa prolifera aber weiter verbreitet ist. Das läßt es wahrscheinlich erscheinen, daß sich die exotische Art bald ähnlich einnischen wird und nur mehr mit Caulerpa prolifera konkurriert. Andererseits werden die Arten, die Caulerpa prolifera als Nahrungsquelle nutzen, mit einiger Wahrscheinlichkeit auch bald den Exoten als physiologisch wohl ziemlich gleichwertig entdecken. Daher ist wohl kaum ein Grund zur Panik vorhanden.
Mehr Sorgen sollte man sich hier um unsere Robinie machen. Aber bevor man auch hier zu Robinien"schädlingen" greift, sind andere Maßnahmen sinnvoller:
– Keine Neuauspflanzungen auf freier Flur
– Rodung der alten Bestände (das Holz ist durchaus hochwertig), danach für ca. drei Jahre regelmäßiges Entfernen der Wurzelschößlinge
– Neuauspflanzung in Gebieten, in denen die Robinie Teil des Kulturguts geworden ist, z. B. in den Kellergassen des Weinviertels, sowie in Gärten, Parks oder als Bienentrachtpflanze nur von samensterilen Sorten. Neuauspflanzungen dürfen nur mehr im Kulturland erfolgen, um eine Ausbreitung durch Wurzelausläufer zu verhindern.
Der Prozentsatz der botanischen Einwanderer steigt. Probleme machen uns in Österreich derzeit vor allem Robinie und Flügelknöterich. Aber im Normalfall gibt es keine langfristigen Störungen. Dasselbe gilt bei Tieren. Ausnahme: Die Fische. Aber vielleicht berichte ich ein anderes Mal darüber.
Ergänzung dieses Textes aus 1997: Inzwischen hat auch die Robinie einen heimischen Meister gefunden: Die Esche (Fraxinus excelsior) überwuchert Robinen und erstickt diese. Leider nutzt das den Trockenrasen nix.