Die Lebensformen der Pflanzen
Frühling wird es. Allerorten keimt und sprießt es. Bäume, Sträucher, Stauden, Sommerblumen. Doch was ist das eigentlich. Wo sind die Grenzen? Ein genauer Blick in den Garten und an den Wegesrand zeigt, dass keine Einteilung für alle Pflanzen passt. Beobachten Sie Ihre Lieblingspflanzen durch den Jahreslauf, und versuchen Sie herauszufinden, wie diese am besten zu benennen sind.
Unter Stauden verstehen verschiedene Menschen unterschiedliches. Dem botanischen oder gärtnerischen Vollprofi ist klar, dass es sich hiebei um nicht holzige ausdauernde Pflanzen handelt – von der kleinen Polsterpflanze bis zur Riesenbärenklau. Für Laien hingegen ist eine Staude ein Strauch. Woher kommt die Sprachverwirrung? Ganz einfach: Ursprünglich sind Stauden die hohen Pflanzen, die Entlang von Gewässern, um Viehläger oder am Rand der Wälder wachsen – unabhängig davon, ob holzig oder krautig.
Einfache Einteilung?
In der Botanik und im Gartenbau aber hat man sich verschiedentlich Gedanken darüber gemacht, wie denn die Lebensformen der Pflanzen einzuteilen seien. Am praktikabelsten ist die Einteilung in Bäume, Sträucher, Halbsträucher, Stauden und Einjährige.
Bäume haben vollständig verholzende Sprossachsen und einen Hauptstamm.
Sträucher haben vollständig verholzende Sprossachsen aber keinen Hauptstamm – sie haben mehrere, gleichberechtigt aus dem Boden wachsende Sprosse.
Halbsträucher haben nur im unteren Teil verholzende Sprossachsen.
Stauden verholzen gar nicht, sind aber ausdauernd.
Einjährige überwintern nicht, sondern sterben nach der Wachstumsperiode ganz ab.
Dieses System ist recht praktikabel, aber gehen Sie in Ihren Garten, und Sie werden sicher Pflanzen finden, die da nicht hineinpassen. Das Froschgoscherl, auch bei uns inzwischen unter dem bundesdeutschen Literaturnamen Löwenmaul bekannt, ist zum Beispiel so ein Fall: Wir ziehen es als Einjährige. Ist der Winter nicht zu streng, dann entpuppt es sich als Halbstrauch. Rizinus kennen wir aus den Tropen als Baum, aus den Subtropen als Strauch und bei uns als Einjährige. Das Klima beeinflusst also die Lebensform. Auch eine andere Gruppe kennen wir, kurzlebige Stauden, nicht ganz richtig Zweijährige, besser Halbstauden genannt.
Einmal- und Mehrmalsblüher
Gerade die "Zweijährigen" sind eine sehr inhomogene Gruppe: Da gibt es welche, die bilden im ersten Jahr eine Blattrosette und im zweiten blühen sie, um dann abzusterben. Erhalten sie im ersten Jahr nicht genug Nährstoffe, so blühen sie erst im dritten Jahr. Hierher gehört die Marien-Glockenblume. Einige Arten nehmen es nicht so genau, und blühen ein weiteres Jahr, wie, wenn sie an der Samenbildung gehindert werden.
Dann gibt es Arten, die eigentlich mehrmals blühende Stauden sind, aber von Jahr zu Jahr schwächer werden. Sie werden üblicherweise auch nach dem zweiten Jahr entfernt und gegen neue ersetzt, da ihre Schauwirkung nachlässt. In diese Gruppe gehören beispielsweise das Maßliebchen oder Gänseblümchen (Bellis perennis) und die Stockrose (Alcea rosea).
Die dritte Gruppe, in die das Stiefmütterchen (Viola x wittrockiana) in vielen Gegenden gehört, keimt noch im Spätsommer bis Herbst und blüht in der ersten Jahreshälfte des Folgejahres. Bevor ein Jahr vergangen ist, stirbt sie wieder ab.
Sehen wir uns die erste Gruppe der einmal Blühenden genauer an, so werden uns Stauden einfallen, die sehr ähnlich reagieren. Etwa die Agaven, die eine Rosette bilden, die erst nach vielen Jahren groß genug ist um zu blühen und dann abzusterben. Bis zu 50 Jahre kann ein Zyklus dauern. Die Hauswurz ist ein weiteres Beispiel für solche Pflanzen. Die Zahl der Jahre, die bis zur Blüte vergehen, ist nicht fixiert. Die Pflanze blüht dann, wenn die Blattrosette groß genug ist, abhängig von Nährstoffversorgung, Klima, etc. – im Garten ist das bei vielen Arten das zweite Jahr. Einige Arten schaffen es mitunter schon im ersten Jahr, wie viele Nachtkerzen- (Oenothera-) Arten. Diese Pflanzen, die einmal fruchten, also monocarp sind, nennen wir Hapaxanthe, unabhängig davon, wie alt sie werden. Es gibt auch Hapaxanthe, die echte Zweijährige sind, und unabhängig von ihrer Größe im zweiten Jahr – nach Kälteeinwirkung – blühen, etwa die Rüben.
Sind unsere Halbstauden polycarp, fruchten also mehrmals, so sind es einfach kurzlebige Stauden. So manche Pflanze, die wir als Staude bezeichnen, lebt auch nicht länger, wenn wir sie nicht rechtzeitig teilen und Umsetzen. Löwenzahn wird in Mähweisen durchschnittlich zwei Jahre alt, Akelei hält drei bis fünf Jahre durch, kaum mehr als Stockrosen mit durchschnittlich drei bis vier Jahren.
Die Trennung zwischen Hapaxanthen und polycarpen Stauden ist unvollständig. Einige Hapaxanthe nehmen es nicht so genau, und blühen ein weiteres Jahr, wie, wenn sie an der Samenbildung gehindert werden – etwa einige Königskerzen (Verbascum). Und dann ist die Frage, ab wann eine Pflanze monocarp ist. Ist sie das nur, wenn sie, wie einige Palmen oder Zwergbananen, nach der Blüte ganz abstirbt, oder darf sie, wie Agaven, Bananen, Bromelien oder Hauswurzen, vorher Ableger bilden? Im allgemeinen nennt man Pflanzen hapaxanth, wenn ihre Ableger vor der Blüte selbständig werden und die blühende Pflanze auch ohne Ableger lebensfähig ist. Sonst müssten viele Stauden als hapaxanth bezeichnet werden. Ein Grenzfall ist die beliebte Bart-Nelke (Dianthus barbatus).
Überwinternde Einjährige
Die dritte Gruppe sind eigentlich Einjährige. Überwinternde Einjährige. Um sie von den im Frühjahr keimenden Sommerblumen oder Sommerannuellen zu unterscheiden, nennen wir sie Winterannuelle. Einige Winterannuelle kommen aus trockenen Lebensräumen und nutzen die kurze Zeit der Winterfeuchtigkeit. Sie keimen mit Eisetzen der Herbstregen und blühen im Vorfrühling. Wenn im Mai die Sonne den Boden auszutrocknen beginnt, sind ihre Früchte schon reif. Diese Zwerge, zu denen Hungerblümchen, Hornköpfchen, einjährige Mannsschild-Arten etc. gehören, nennen wir Frühlingsephemerophyten. Einen solchen können Sie in fast jedem Rasen entdecken: den Feld-Ehrenpreis (Veronica arvensis). Die oft nur wenige Millimeter bis selten 30 cm hohe Pflanze mit ihren unscheinbaren, oft geschlossen bleibenden, etwa 2 mm großen, hellblauen Blüten ist allgegenwärtig und trotzdem weithin unbekannt
Die Einteilung der Botaniker
Das verbreitetste System in der Botanik ist das nach Raunkiaer: Er teilt die Pflanzen danach ein, wo ihre Überdauerungsknospen liegen. Liegen sie höher als 2 m, so nennt er sie Makrophanaerophyten, zwischen 2 m und 50 cm Nanophanaerophyten, im Bereich bis über 50 cm über dem Boden heißen sie Chamaephyten, sitzen die Knospen am Boden oder in der Laubschicht, so spricht man von Hemikryptophyten, bei unterirdischen Knospen von Geophyten. Sind keine Überdauerungsorgane vorhanden, so spricht man von Therophyten. Es ist dabei unwesentlich, ob die Pflanzen Winterkälte oder Trockenheit überdauern. Problematisch wird es in den feuchten Tropen, wo selbst Bäume eigentlich Theropyten sind. Auch so stehen wir vor dem Problem, dass Makrophanaerophyten sowohl Bäume als auch große Sträucher sein können, Nanophanaerophyten wie Chamaephyten sowohl Sträucher als auch Halbsträucher. Genauer dagegen die Unterteilung der Stauden in Hemikryptophyten („Normalstauden“) und Geophyten (vorwiegend Zwiebel- und Knollenpflanzen). Interessant aber ist, dass sich diese Einteilung trotz ihrer Mängel ökologisch höchst aussagekräftig ist, und zwar aussagekräftiger als die Einteilung in Bäume, Sträucher, etc.. So gibt es Lebensräume, die werden durch Chamaephyten dominiert, ganz gleich ob Zwergsträucher, Halbsträucher, oder gar zwergige Bäume – etwa Felsrasen. Dominieren Makrophaneaerophyten, so sprechen wir von einem Wald – egal ob es sich (wie meist) um Bäume oder um Großsträucher handelt.
Was jetzt?
Wie beschreiben wir unsere Pflanzen jetzt, wenn wir sie jemandem beschreiben wollen? Mit möglichst vielen altgriechischen Ausdrücken? Nicht notwendig. Die Einteilung in Bäume, Sträucher, Halbsträucher, Stauden und Einjährige reicht für gärtnerische Zwecke meist aus. Mit einigen Zusätzen.
Bei den Einjährigen sollten wir echte Sommerblumen und überwinternde Einjährige/Winterannuelle unterscheiden – obwohl viele Winterannuelle auch als Sommerblumen angebaut wachsen, etwa Klatsch-Mohn, Jungfer im Grünen oder Ackerrittersporn.
Von Raunkier übernehmen wir die Geophyten, für die Hemikryptophyten bleiben wir bei Stauden. Für einmal blühende Stauden sollten wir uns doch an die griechische Zusatzbezeichnung monocarp gewöhnen, kurzlebige Stauden, ob monokarp oder nicht, als Halbstauden bezeichnen. Werden die Pflanzen 1 m und höher, sagen wir Großstauden, erreichen sie keine 40 cm, dann bezeichnen wir sie als Kleinstauden. Für niedrige, dichtrasige Stauden führen wir den Hilfsbegriff Polsterstauden ein.
Bei den Halbsträuchern werden höhere und niedrige selten anders als durch die Bezeichnungen hoch oder niedrig unterschieden.
Bei Sträuchern aber ist es sehr wohl sinnvoll, Macrophanaerophyten, Nanophanaerophyten und Chamaephyten zu unterscheiden. Wir nennen sie dann ganz profan Groß-, Klein- und Zwergsträucher.
Für ganz Genaue
Wer aber seine Lieblinge genau beobachtet, der wird merken, dass ihm dieses gärtnerisch ausreichende Vokabular nicht genügt. Was ist zum Beispiel mit der Quendel-Weide (Salix serpyllifolia)? Sie ist ein am Boden, oft über Felsen kriechender Baum, also verholzend, mit einem Hauptstamm und ein Hemikryptophyt. Die Pflanze wird nur 1-2 cm hoch und bis zu 7 cm lang. Wie ist diese Art richtig einzuordnen. Karrer hat ein recht interessantes, sehr genaues System gefunden, die Pflanzen einzuteilen. Die genannte Weide wäre nach ihm Zwergspalierbaum. Spalier wegen ihrer Eigenschaft sich an Steinen oder was sonst als Untergrund vorhanden ist anzulehnen, Baum wegen des Hauptstammes und zwergig erklärt sich sowieso von selbst. Karrer ist ein genauer Beobachter. Er hat mit seinen StudentInnen viele Pflanzen verschiedener Arten individuell markiert und über lange Zeit beobachtet. So hat er herausgefunden, dass Löwenzahn zumindest in Mähwiesen keineswegs eine langlebige Staude, sondern wie oben erwähnt meist zweijährig ist. Vergessen Sie also die 99,9 % der Literatur, die darüber falsche Angaben macht. Das Verhalten der Pflanzen zu studieren verlangt Ausdauer, ist aber deswegen nicht uninteressant. Vor allem wird diese Art der Botanik zu selten betrieben, und es mag so manche Art noch Überraschungen bieten. Schulen Sie also Ihr Auge und beobachten Sie die spannende Welt der Pflanzen.