Nachfolgend wird eine geringfügig modifizierte Pressemitteilung des Europäischen Parlaments dokumentiert.
Kann eine EU-Meerespolitik das Ökosystem der Meere retten?
Verschmutzung, Klimawandel, Überfischung und die auswuchernde Bebauung in Küstenregionen gefährden das Ökosystem der Meere sowie auf lange Sicht deren wirtschaftliche Nutzung. Wie kann die Europapolitik dazu beitragen, die maritimen Wirtschaftszweige weiterzuentwickeln und gleichzeitig die bedrohte Meeresumwelt zu schützen? Die zukünftige EU-Meerespolitik haben Anfang der Woche EU-Abgeordnete mehrerer Ausschüsse mit Experten und Betroffenen aus verschiedenen EU-Ländern diskutiert.
Europa hat unzählige Inseln und ist von vier Meeren (Mittelmeer, Ostsee, Nordsee und Schwarzes Meer) sowie vom atlantischen und dem arktischen Ozean umgeben. Mit 100.900 Kilometern sind Europas Küsten länger als die Afrikas, obwohl Europas Landfläche nur ein Drittel der Afrikas ausmacht. Viele europäische Küstenregionen sind dicht besiedelt und beliebt bei Touristen.
Rund 5 Millionen Menschen sind in der EU in Wirtschaftszweigen beschäftigt, die von der See abhängen, so die EU-Kommission in ihrem Konsultationsdokument vom Juni 2006 – dem „Grünbuch über die künftige Meerespolitik der EU“.
Bis zu fünf Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaften die sogenannten maritimen Industrie- und Dienstleistungssektoren (Rohstoffe wie Öl und Fisch nicht mitgerechnet). Die Küstenregionen tragen rund 40 Prozent des Bruttosozialprodukts der EU bei.
Eine gemeinsame Anhörung zur künftigen Meerespolitik versammelte am Dienstag (20. März) die fünf parlamentarischen Ausschüsse für Verkehr, Umwelt, Industrie, Fischerei und Regionale Entwicklung sowie Experten aus Wissenschaft, Verbänden und nationalen Behörden.
Möglicher Rettungsanker: Raumplanung für die Meere
Simon Cripps vom Umweltverband WWF sieht das sensible Ökosystem in den Weltmeeren durch kommerziellen, insbesondere durch illegalen Fischfang gefährdet: „Illegale und unregulierte Fischerei ist eine bedeutende Gefahr für die Artenvielfalt“, warnte er. Maritime Raumplanung, wie im Grünbuch der EU-Kommission vorgeschlagen, sei ein vielversprechender Lösungsansatz.
Landschafts- und Raumplanung sind in Europa weit verbreitete Konzepte der politischen Steuerung und der nachhaltigen Entwicklung. Doch eine entsprechende Einteilung und Zuweisung von Meeresregionen ist ein weit weniger bekanntes Instrument.
In der Meeresraumplanung werden alle relevanten Sektoren wie Fischerei, Umweltschutz, Schifffahrt und Energieversorgung berücksichtigt, Risiken und Bedürfnisse identifiziert und dementsprechend Zonen ausgewiesen, in denen nur bestimmte Nutzungen zugelassen werden.
So könnten zum Beispiel Naturschutzräume, Meeresgebiete für Windturbinen, Ölplattformen, Fischfangzonen oder Schifffahrtsrouten ausgewiesen werden und für eine umweltverträgliche und nachhaltige Nutzung der Meere sorgen. Einige Regionen Europas, wie die Toskana, Schleswig-Holstein und Asturien, sind im Bereich der Meeresraumplanung Vorreiter, wie Patrick Anvroin, Direktor der „Konferenz der peripheren Küstenregionen Europas“, erklärte.
Tiefsee-Schutz
Ein Plädoyer für den Schutz der Tiefsee im Rahmen der Meerespolitik hielt Frederico Cardicos von der Regionalregierung der Azoren. Diese sensiblen Bereiche müssten unbedingt besonders geschützt werden.
Künftiger Rohstoffabbau und die mögliche zukünftige Speicherung des Treibhausgases CO2 unter dem Meeresboden (CO2-Sequestrierung) könnten die empfindlichen, bislang kaum erforschten Tiefseegebiete aus dem ökologischen Gleichgewicht bringen.
„Die Menschen berücksichtigen“
Der irische Europa-Abgeordnete Seán Ó Neachtain von der Fraktion Union für das Europa der Nationen warnte hingegen vor einer zu starren Reglementierung durch die EU. Zu häufig habe die EU die „Menschen nicht in die Gleichung“ aufgenommen und so führe etwa die EU-Fischereipolitik in dünn besiedelten Küstengebieten Irlands zur Abwanderung der Menschen.
Klimawandel
Der Klimawandel, das Abschmelzen der Eismeere und ansteigende Meerespegel werden weltweit enormen Einfluss auf die Küstenregionen und die Meeresumwelt haben. Zugleich trägt die Schifffahrt beträchtlich zum Ausstoß von Treibhausgasen bei.
Für den Kieler SPD-Abgeordneten Willi Piecyk, der Hauptberichterstatter für die Meerespolitik ist, stellt der Klimawandel „eine der großen Herausforderungen für die europäischen Meerespolitik“ dar. Auch die Schifffahrt werde einen Beitrag leisten müssen, den Ausstoß von Schadstoffen zu reduzieren. „Man muss über einen Emissionshandel für Schiffe nachdenken“, so Piecyk.
Der FDP-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis merkte an: „Wir missachten oft, dass im Schiffsverkehr mehr CO2 freigesetzt wird als im Flugverkehr.“ Dabei müsse man allerdings berücksichtigen, dass sehr viel mehr Güter über den Meeresweg transportiert werden, räumte Chatzimarkakis ein.
40 Prozent der innerhalb der EU gehandelten Güter werden über die Meere transportiert, beim außereuropäischen Handel sind es sogar 90 Prozent, wie Alfons Guinier vom Europäischen Reederverband anmerkte.
Chatzimarkakis und andere Abgeordnete sprachen sich dafür aus, den Einsatz alternativer Energien wie Solar- und Windenergie sowie Wasserstoff oder Biodiesel verstärkt auch im Schiffsverkehr zu fördern.
Bessere Lebensbedingungen für Fischer und Arbeiter im Seetransport
„Mehrere Absätze des Grünbuches vermitteln den Eindruck, dass die Kommission um die Fische besorgter ist als um die Fischer“, kritisiert Peter Mortensen, ehemaliger Vorsitzender eines EU-Ausschusses, in dem die Sozialpartner der Fischereiwirtschaft vertreten sind. Fischer müssten unter schwierigen, zum Teil gefährlichen Bedingungen arbeiten, seien schlecht bezahlt und litten unter dem verzerrten Wettbewerb durch den illegalen Fischfang.
Willi Piecyk forderte, im Rahmen der EU-Meerespolitik die Arbeitnehmerrechte der in der Schifffahrt Beschäftigten zu stärken. Nach Schiffsunglücken wie der Havarie des Öltankers Erika (1999) und der Prestige (2002) sei sehr stark auf Technik und zuwenig auf Ausbildung und Mindeststandards für die Besatzungen gesetzt worden, obwohl bei Schiffsunglücken oft menschliches Versagen im Spiel sei.
Globale Zusammenarbeit
Die Teilnehmer der Anhörung unterstrichen auch, dass eine verstärkte Zusammenarbeit in der Wissenschaft, der internationalen Politik und beim Seerecht notwendig sei. „Meere sind global verbunden. Es gibt nicht die „Aufteilung in ’saubere EU-Meere‘ und ‚außereuropäische Meere’“, betonte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrministerium Karin Roth als Vertreterin der deutschen Ratspräsidentschaft.
Die UNO sei in dieser Hinsicht jedoch mit dem Problem konfrontiert, sich nicht mit „der EU“, sondern mit 27 Regierungen und noch mehr Ministerien auseinandersetzen zu müssen, so Chatzimarkakis.
Nächste Schritte
Der Verkehrsausschuss wird voraussichtlich bis Anfang Juni über den Parlamentsbericht zur Meerespolitik beraten, bevor dieser Mitte Juni im Plenum zur Abstimmung kommt. Bis zum Ende des Jahres will die Kommission dann die Reaktionen auf das Grünbuch bewerten, um anschließend den Mitgliedsstaaten und dem Parlament konkrete Vorschläge für eine umfassende EU- Meerespolitik zu unterbreiten.