Ich dokumentiere hier Teil 2 eines längeren Interviews, dass ich diesen Herbst mit Thorwald Brandwein geführt habe. Wegen der Länge veröffentliche ich es in mehreren Teilen. Vorherige Teile: 1
Frage: Ich bin zum ersten Male in den 90iger Jahren über Dich gestolpert, als ich zu Fassadenbegrünung recherchierte und das Ulmer-Fachbuch Fassaden- und Dachbegrünung kaufte, das ein von Dir geschriebenes Kapitel enthielt. Siehst Du seit der damaligen Zeit wesentliche Änderungen im öffentlichen Bewusstsein zu begrünter Fassade erreicht?
Zum Buch „Fassaden- und Dachbegrünung“ möchte ich anmerken, dass ich es seinerzeit initiiert habe, weil ich eine Aktualisierung des Informationsangebotes für geboten hielt. Damit war ich seinerzeit – ab Herbst 1988 – wohl noch etwas zu früh. Erstens galt Fassadenbegrünung allein noch nicht als – sagen wir mal „fachbuchwürdig“ – zweitens habe ich selbst erst 1999 m.E. brauchbare und offenbar auch inzwischen allgemein anerkannte Prinzipien zur Schätzung der Maximallasten von Kletterpflanzen gefunden.
Noch jünger ist meine persönliche Entscheidung, Kletterhilfen auf der Basis von Spanntechnik nur noch bei dafür günstigsten Voraussetzungen zu empfehlen. M.E. eignen sich Seile und elastische Stäbe, die durch Verspannung fixiert werden müssen, viel weniger zum Bewuchs mit sogenannten Starkschlingern, als schlanke biegesteife Profile.
Deine eigentliche Frage nach der Entwicklung des „öffentlichen Bewusstseins“ erfordert meiner Meinung nach eine differenzierte Betrachtung.
Wer sich speziell mit Planung und Herstellung oder Verwaltung und Unterhaltung von Bauwerken befasst, macht hinsichtlich Fassadenbegrünung konkretere Erfahrungen als jemand, der sie eher „konsumiert“ – sei es als unbeteiligter Mieter oder auch nur als „oberflächlicher“ Betrachter begrünter Hauser. Letzterer wird nicht so schnell merken, was alles hinter einer Fassadenbegrünung steckt.
Die erste Gruppe – zu der natürlich auch die Grüne Branche, die gesamte Stadtplanung, Fachbehörden usw. – aber auch die Naturschutzorganisationen zu zählen sind – erweist sich nach einer „Begrünungseuphorie“ seit etwa 1995 als immer weniger interessiert, teilweise vielleicht sogar als ablehnender als je zuvor. Es ist eben vielfach nicht so gelaufen, wie erhofft….
„Greife lieber zur Kletterpflanze, dann geht alles wie von selbst!“ hat sich als sehr unrealistischer Werbespruch erwiesen. Davor habe ich immer gewarnt. „Von selbst“ und für „kleines Geld“ gibt es meines Erachtens in der Realität meistens nur unerwünschte Nebenwirkungen!
Das Interesse und Engagement der Bauherren von selbstgenutztem Wohneigentum scheint mir allerdings ungebrochen – vielleicht sogar wachsend. Das gilt insbesondere für Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern.
Hier gibt es keinen Trend zur ersatzlosen Entfernung von Fassadenbegrünungen, sondern hier wird überwiegend saniert und Fassadenbewuchs, der unangemessenen Aufwand verursacht, wird durch eine angepasstere Bepflanzung ersetzt. Bei dieser Gruppe fällt mir das Bemühen, es künftig wirklich besser zu machen, sehr angenehm auf. Vielfach werden auch wirklich schöne, aber besonders pflegeintensive Fassadenbegrünungen mit großem Engagement sehr liebevoll unterhalten.
Leider tragen auch diese Maßnahmen wenig, bis gar nicht zur Kompensierung innerstädtischer Gründefizite bei. Man trifft sie vor allem in Stadtrandlagen an. Unterbewertung verdienen sie allerdings auch nicht. Jüngere Neubausiedlungen sind häufig so klein parzelliert, dass größere Gehölze u.a. aufgrund des Schattenwurfes selten geduldet werden können. Das gilt zunehmend auch weil zur Energiegewinnung permanent unverschattete Dachflächen benötigt werden. Unter diesen Voraussetzungen erfüllen Kletterpflanzen an Fassaden und Gerüsten, z.B. als Wind- und Sichtschutzwände, Pergolen und Lauben durchaus wichtige Funktionen.
Frage: Des öfteren habe ich von Dir, wie ich finde solidarische, Kritik an Umweltverbänden u.dgl. gelesen. Sie bezog sich auf die Ausführung vieler gut gemeinter aber schlecht gemachter Fassadenbegrünungen.
Siehst Du eine Qualitätsänderung von Fassadenbegrünung in den letzten 15 Jahren?
Natürlich – aber hier muss ich auch ziemlich weit ausholen:
Die Ausführungsmethoden, wie sie z.B. im seinerzeit populären Buch „Häuser im grünen Pelz“* vorgestellt wurden, erwiesen sich schon in den 1980er Jahren nicht nur mir als zu provisorisch und kaum für großflächige Begrünungen geeignet. Auf den häufiger werdenden außenseitigen Wärmedämmungen versagten sie vollständig.
Weil wirklich anforderungsgerechte Kletterhilfen nicht existierten, gewannen selbstklimmende Kletterpflanzen in der Praxis eine m.E. unangemessen hohe Bedeutung. Noch heute verbinden viele Leute mit Fassadenbegrünung zuerst Efeu und Wilden Wein, obwohl immer mehr Fassaden so konstruiert sind, dass deren Einsatz unterbleiben sollte. Der leider nur anfangs besonders kostengünstige Fassadenbewuchs mit diesen Selbstklimmern dominierte die Begrünungspraxis – oft auch, wenn die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren.
Dafür – und die bis heute wirkenden Folgen – mache ich, wie schon angesprochen – alle diejenigen verantwortlich, die bei ihrer Werbung für grüne Fassaden nicht ausreichend auf Eignungsbeschränkungen von Selbstklimmern und ggf. einigen Gerüstkletterpflanzen, sowie notwendige allgemeine Standards von Fassadenbegrünungen hingewiesen haben. Das sind leider sehr oft gerade diejenigen gewesen, die Fassadenbegrünung aus guten Gründen voranbringen wollten und denen auch die hierfür erforderliche Sachkompetenz wegen ihres Berufes oder ihrer Funktion automatisch unterstellt wurde. Aber damals war diese Kompetenz – vor allem in „begrünungstechnischen“ Fragen – eben allgemein eher gering und selbst Experten waren damals wohl kaum informierter als heutige Hobbygärtner, die über einige Zeit mit verschiedenen Kletterpflanzen umgehen.
Heute weiss man schon, dass man es sich mit der Vorbereitung einer Fassadenbegrünung nicht zu einfach machen darf. Man sagt es aber immer noch nicht allzu gerne, weil man oft befürchtet, dass die Sache dadurch zu kompliziert erscheint und Interessenten davon möglicherweise abgeschreckt werden.
Übrgens ist „Efeu entfernen“ seit etwa einem Jahr einer der häufigsten Suchbegriffe, die zu meiner Webseite führen. Er liegt zur Zeit gleichauf mit „Kletterrosen“. Obwohl jetzt im Spätherbst kaum jemand an Fassadenbegrünung denkt, gelangen aktuell mehr als zwei Besucher täglich über diesen Weg an meine entsprechenden Hinweise.
Aber zurück zur Qualitätsentwicklung bei Fassadenbegrünung:
Für die exklusiveren Begrünungen – also solche mit geleiteten und blühenden oder fruchtenden Kletterpflanzen – und solche, wo Selbstklimmer beim besten Willen nicht eingesetzt werden konnten, kamen in den 1980er Jahren Drahtseilsysteme auf. Sie stellten vor allem eine Alternative zu Holzkonstruktionen dar, die für größere Wandbegrünungen schon damals nicht gerne benutzt wurden.
Die Seilkonstruktionen waren anfangs ziemlich primitiv, galten aber schnell als universaltauglich und fanden bei Architekten aus gestalterischen Gründen bald großen Gefallen. Minimalste Seilstrukturen ordnen sich unauffällig jeder Fassadengestaltung unter – also erscheint ihre Planung oder Gestaltung überflüssig.
Bis heute sind Kletterhilfen an Fassaden eben für manche Architekten nichts weiter als „lästiges Zubehör von Architekturpetersilie“. Wenn solche Planer damit arbeiten müssen, fordern sie gerne möglichst unsichtbare Lösungen.
Entsprechend konzentrierte sich die Verbesserung der Drahtseilsysteme lange Zeit auf das Design der Anschlussdetails, bzw. Spannhalter. Pflanzeneignung der Seilanordnung, Wandabstand und Tragfähigkeit der Halter sind bis heute Schwachstellen mancher Kletterhilfe aus Seil – insbesondere der Billigangebote von Baumärkten und Discountern.
Aber auch an sich hochwertige Systeme von spezialisierten Anbietern lassen sich vom Anwender „kaputtsparen“…. Mein – wie ich meine – unverdienter Ruf, generell teure Lösungen anzubieten, resultiert wohl daraus, dass ich immer besonderen Wert auf Funktion und Beständigkeit lege.
Mit der Wende wurde der große Nachholbedarf bei Begrünungen im Wohnungsbau der DDR deutlich und die Problematik der Fassadenbegrünung von Plattenbauten bewirkte zahlreiche Verbesserungen an den bis dahin bestehenden sogenannten „Ranksystemen“. Außerdem wuchs die Zahl der Anbieter sprunghaft.
Die technischen Schwierigkeiten der Begrünung moderner Fassaden wurden vor allem wegen der minimalen Belastbarkeit der Wetterschalen von Plattenbauten in Fachkreisen erstmals wirklich thematisiert. Bei ihrer Begrünung kam man nicht mehr umhin, für eine sichere Abtragung der auftretenden Lasten zu sorgen. Schließlich kam es durchaus vor, dass mal ein Stück original verbaute Wetterschale „von alleine“ herunterfiel.
Das bewirkte sowohl kritische Hinterfragung des Einsatzes von Selbstklimmern als auch einen Innovationsschub vor allem bei den Befestigungsmitteln von Kletterhilfen. Der bisher völlig vernachlässigte Sicherheitsaspekt von Fassadenbegrünungen gewann aufgrund der gehäuften neuen Anforderungen plötzlich erhöhte Beachtung. Zu dieser Zeit wurden sogar Befestigungen für Kletterhilfen verbaut, die zusätzlich eine nachträgliche Sicherung von Wetterschalen darstellten.
Aber leider geschah dies überwiegend innerhalb einer eher kleinen, bereits recht erfahrenen Expertengruppe und in der Praxis wurde die Bedeutung angemessener Kletterhilfen, Befestigungen und Wandabstände weiterhin viel zu oft unterbewertet.
Dieser Eindruck stammt nicht alleine von mir, sondern kommt auch im Vorwort der Erstauflage der „Richtlinie zur Planung, Ausführung und Pflege von Fassadenbegrünungen mit Kletterpflanzen“, (Fll, 1995) deutlich zum Ausdruck. Ebenso wie die vorausgegangenen Veröffentlichungen von C. Althaus** und auch mein o.a. Buchbeitrag sollte diese Initiative zur Verbesserungen des Praxisstandards von Fassadenbegrünungen beitragen.
In dieser „heissen“ Lern- und Entwicklungsphase waren übrigens umfangreichere Veröffentlichungen bei Erscheinen schon teilweise veraltet. Daher wurde z.B. die o.a. Richtlinie schon fünf Jahre später aktualisiert. Das vorhin von dir angesprochene Buch ist im Wesentlichen 1990 geschrieben worden und bevor es 1993 herauskam, wurde es noch kurz um die bis dahin vorliegenden neuen Aspekte begrünter Fassaden ergänzt. Aber trotz aller damaligen publizistischen Bemühungen hinkt die Ausführungspraxis m.E. auch jetzt noch zu oft deutlich dem erstrebenswerten und machbaren Qualitätsniveau hinterher.
Seit 1999 / 2000, also Veröffentlichung meiner verbesserten Lastannahmen zur Fassadenbegrünung und der überarbeiteten FLL-Richtlinie, gibt es kaum neue praxisrelevante Erkenntnisse. Die Aufbereitung dieses somit stagnierenden Kenntnisstandes in neueren Sachbüchern lässt m.E. auch etwas zu wünschen übrig. Sie wird deshalb wohl nur wenig zur Verbesserung der Ausführungspraxis beitragen.
Fortsetzung folgt