Sonderausstellung im Lohrer Schulmuseum: Die Kartoffel – eine Knolle für alle Fälle

Nachfolgend wird ein Beitrag zum Jahr der Kartoffel 2008, erstellt von Eduard Stenger, Leiter des Lohrer Schulmuseums in Unterfranken/Bayern, dokumentiert.

Ein Beitrag zum „Jahr der Kartoffel 2008“

Mit der Sonderausstellung „Die Kartoffel — eine Knolle für alle Fälle“ im Gewölbekeller des Lohrer Schulmuseums vom 14. Nov. 2008 bis 7. Dez. 2008 zeigt das Museum die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Erdknolle auf, die nicht nur wie keine andere Frucht Europas Speisekarte verändert und bis heute weitgehend Hungersnöte in Europa gebannt hat, sondern auch gerade heute Bestandteil des täglichen Lebens ist, bis hin zum Kunstobjekt.


In Deutschland bewunderte man die Kartoffel zunächst wegen ihrer schönen Blüten und baute sie in den Ziergärten der Schlösser an. Man verglich die Schönheit der Kartoffelblüte mit Orchideen, die dekorativen Blüten wurden zu Brautsträußen gebunden und in vornehmen Häusern als Tischschmuck bei besonderen Anlässen verwendet.

Richtig heimisch wurde die Kartoffel in Deutschland erst im 18. Jahrhundert. Der preußische König Friedrich der Große versuchte u. a. mit seinem „Kartoffelbefehl“ 1756 und einer List den feldmäßigen Kartoffelanbau durchzusetzen – er ließ seine eigenen Felder mit Kartoffeln bestellen und zum Schein von Soldaten strengstens bewachen. Diese Felder erregten natürlich die Neugier der Untertanen, und so stahlen die Bauern nachts die seltenen und offensichtlich kostbaren Pflanzen, um sie anschließend daheim in ihre eigenen Gärten zu setzen. Und genau dort wollte sie der listige König auch haben. Aber es dauerte noch lange, bis sich die Knolle endgültig in Preußen durchgesetzt hatte, und „der Alte Fritz“ beklagte immer wieder den mäßigen Erfolg in dieser Angelegenheit. Erst die Getreide-Missernten um 1771/1772 und die folgenden Hungersnöte „begünstigten“ den großflächigen Anbau des Erdapfels.

Der endgültige Durchbruch gelang der Kartoffel schließlich nach der schlimmen Getreide-Missernte 1816. Wo das Getreide auf den Feldern verfault war, legte man Kartoffelfelder an und rettete dadurch viele Menschen vor dem Hungertod. In den sog. Notstandsgebieten wie Spessart und Rhön war die Kartoffel von nun an ein wahrer Lebensretter, vor allem dann, wenn wegen des feuchten Wetters das Getreide am Halm verfaulte. Zudem brachte die Kartoffel einen wesentlich höheren Nährertrag als Getreide. Von der gleichen Fläche konnten und können auch heute also viel mehr Menschen ernährt werden.

Darüber hinaus sind die heutigen Nutzungsmöglichkeiten des „Multi-Talents Kartoffel“ nahezu unbegrenzt. Kartoffeln eignen sich nicht nur zum Kochen und Braten, sie sind auch als Pudding, Kuchen, Brot etc. ein Genuss. Dem Kartoffel-Fan unserer Tage steht eine umfangreiche Palette praktischer Kartoffel-Fertigprodukte in verschiedenen Technologien zur Verfügung: Knödel, Puffer und Püree, Bratkartoffeln, Rösti, Kartoffelsalat und Pommes Frites. Nicht zu vergessen die Kartoffelchips – nur um einige Beispiele zu nennen. Aus und mit Kartoffeln kann man auch herstellen: Kaffee, Wein, Bier, Schnaps, Essig, Käse, Wurst. (…) Die Kartoffel fand einst Verwendung bei der Herstellung von Lichtern, Puder, Seife und dient heute nach wie vor der Stärkegewinnung. In der Papierherstellung setzt man die Kartoffel ebenso ein wie in Kosmetik und Pharmazie. Heute, im Zeitalter der nachwachsenden Rohstoffe, spielt die Kartoffel auch als Sprit-Lieferant, als recycelbarer Styropor-Ersatz und als essbare Verpackung eine Rolle.

Hartnäckig hielt sich auch durch die Jahrhunderte die Vorstellung, die Kartoffelfrucht sei ein Aphrodisiakum. Ben Johnson zählte 1601 die Kartoffel in einer Liste von „delikaten Nahrungsmitteln“ auf. Die Engländer gaben der Kartoffel den Beinamen „Apfel der Jugend“ wegen ihrer „Venus befeuernden Wirkung“. 1619 schrieb Caspar Bauhin: „Unsere Leute rösten sie in der Asche wie Trüffel und essen sie geschält mit Pfeffer. Oder schneiden sie in Scheiben und gießen eine fette Soße darüber und essen sie, sich zu erregen. In Wein gekocht, sind sie besonders hilfreich für alle, die die Blüte ihrer Jahre überschritten haben.“ Kartoffeln gehörten auch zu den Lieblingsspeisen Casanovas. Dem berühmten Pathologen Professor Rudolf Virchow fiel 1852 auf einer Inspektionsreise durch den Spessart die relativ große Zahl von (oft unehelichen) Kindern auf. Eine Ursache dafür glaubte er „in dem exclusiven Kartoffelgenuss“ zu erkennen, denn die Kartoffel sei bekanntermaßen ein „Reizmittel der Geschlechts-Erregung“. Sehr wahrscheinlich zog auch Virchow diesbezüglich falsche Schlüsse, denn bis heute kann eine aphrodisierende Wirkung der Kartoffel nicht nachgewiesen werden. Aber dank der Kartoffel mussten die Armen nicht mehr hungern und hatten nun wieder Kraft für entsprechende Aktivitäten. Folglich wuchs überall dort, wo die Kartoffel eingeführt wurde, die Bevölkerung rapide an.
Quer durch die Jahrhunderte befassten sich auch viele Künstler und Dichter mit der Kartoffel. Große Meister wie van Gogh, Millet, Liebermann, Dali und J. Immendorff huldigten der Kartoffel mit Stift und Pinsel. Zum Lobe der Kartoffel dichteten u. a. H. Heine, Matthias Claudius, Ringelnatz, Zuckmayr, Capote und Grass. Als Beispiel mag hier Goethes „Liebeserklärung“ angeführt werden: „Morgens rund, mittags gestampft, abends in Scheiben, dabei soll`s bleiben – das ist gesund.“

Die Sonderausstellung, erstellt in Zusammenarbeit mit dem Münchner Kartoffelmuseum, bietet mit großformatigen Bildern, Dokumenten und Gegenständen einen anschaulichen und übersichtlichen Einblick in die Geschichte der Kartoffel.
In der ständigen Ausstellung mit dem Zeitrahmen von 1789 bis 1989 findet der Museumsbesucher zudem entsprechende und ergänzende Hintergrundinformationen.

Das Lohrer Schulmuseum im Ortsteil Lohr-Sendelbach ist Mittwoch bis Sonntag und an allen gesetzlichen Feiertagen jeweils von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Gruppen können auch nach vorheriger Absprache außerhalb der regulären Öffnungszeiten das Museum besuchen.