Auf die Länge kommt es an
Halle (Saale)/ Washington. Intelligentes Landschaftsmanagement könnte die Überlebenschancen von Tier- und Pflanzenarten verbessern, die durch den Klimawandel bedroht sind. Die Schaffung von wärme-gepufferten Klein-Habitaten sowie bessere Verbindungen zwischen Lebensräumen würden dann einer mäßigen Klimaerwärmung entgegenwirken und bedrohten Arten Gelegenheit geben, sich mit etwas mehr Zeit besser anzupassen und/oder in kühlere Regionen zu wandern. Das schlussfolgern Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) aus einer britischen Studie über die Rettung des Thymian-Ameisenbläulings (Maculinea arion).
Diese Schmetterlingsart war 1979 in Großbritannien ausgestorben und wurde dort vor 25 Jahren wieder angesiedelt. Seitdem gilt diese Art als Musterbeispiel für den Schutz bedrohter Insekten. Ein Management, dass kühlere mikroklimatische Bedingungen zum Beispiel durch höheres Gras in den Wiesen von heute schaffe, sollte die Auswirkungen der Klimaerwärmung kurz und mittelfristig abschwächen, schreiben die Forscher in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins SCIENCE. Dies sei jedoch keine Langzeitlösung, sondern nur eine Überbrückung für die nächsten Jahrzehnte.
Der Thymian-Ameisenbläuling (Maculinea arion) ist in Deutschland nur sehr selten anzutreffen. Wie der Name schon sagt, kommt er auf Wiesen oder Weiden vor, in denen Thymian wächst, denn die Raupen fressen nur diese Pflanze oder den nahe verwandten Gemeinen Dost (Origanum vulgare). Das Überleben der Schmetterlinge hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab, denn der „Große Blaue“, wie die Engländer ihn nennen, gehört zur Gattung der Ameisenbläulinge. Sie sind also nicht nur auf eine bestimmte Raupennahrungspflanze angewiesen, sondern auch noch auf eine bestimmte Ameisenart, von der sich die Raupen in den Ameisenbau schleppen und dort über den Winter durchfüttern lassen. Dieser Kuckuckstrick funktioniert aber nur bei einer ganz bestimmten Ameisenart. Lediglich Myrmica sabuleti fällt auf die Duftstoffe herein. Andere Ameisenarten durchschauen den Tarnmantel und entfernen die anfangs eingetragenen Raupen wieder aus ihrem Nest. Die Knotenameisen der Art M. sabuleti wurden im Laufe des Rückganges des Schmetterlings in England von der konkurrierenden Art M. scabrinoides verdrängt, die mit niedrigeren Temperaturen am Boden besser zurecht kommt. „Eine Änderung der Graslänge um einen bis zwei Zentimeter kann eine Temperaturänderung von zwei bis drei Grad in den Brutkammern der Ameisen direkt unter der Bodenoberfläche nach sich ziehen“, erläutert Prof. Jeremy A. Thomas von der Universität Oxford. Der Biologe hat jahrzehntelang das komplizierte Wechselspiel untersucht und die Ergebnisse jetzt in SCIENCE veröffentlicht. Dass es am Boden kälter wurde, lag daran, dass die Wiesen, auf denen Schmetterlinge und Ameisen seit langem zusammenlebten, weniger beweidet wurden und auch die Wildkaninchen, die das Gras lange Zeit kurz hielten, durch eine Seuche stark zurückgingen. Eine veränderte Nutzung der Landschaft hatte das sensible Zusammenspiel der Arten aus dem Gleichgewicht gebracht. Als das erkannt wurde, war es für den Thymian-Ameisenbläuling in England bereits zu spät. Nachdem die exakten Gründe für den Verlust der Populationen klar waren, wurde nach entsprechend geeigneten Spenderpopulationen für eine Wiederansiedlung in anderen europäischen Ländern Ausschau gehalten. Schließlich wurden Tiere aus Schweden eingeführt und die Wiesen entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnissen kurz gehalten. Dadurch entwickelte sich die Wiederansiedlung des Thymian-Ameisenbläulings zu einer Erfolgsgeschichte. Inzwischen leben im Vereinigten Königreich bereits mehr Tiere dieser stark bedrohten Art als zu Beginn der Aufzeichnungen in den fünfziger Jahren. „Dass es gelang, den Rückgang zu stoppen und umzudrehen, könnte Vorbild für viele andere Projekte zum Schutz von Insekten werden“, hofft Jeremy A. Thomas.
Seine Kollegen vom UFZ gehen in einem zweiten Science-Beitrag noch einen Schritt weiter. Bei den Ameisenbläulingen bestand das Problem darin, dass es durch längeres Gras am Boden kühler wurde. Der Klimawandel wird die Natur jedoch vor das umgekehrte Problem stellen. Für viele Arten könnte es schlichtweg zu warm werden. „Dem könnte entgegengesteuert werden, wenn man das Gras einfach länger wachsen lässt. Dann würde das Mikroklima am Boden gleich bleiben“, schlägt Dr. Josef Settele vom UFZ und einer der beiden Autoren des Artikels vor. „Das klingt trivial, ist aber ein ganz einfaches Beispiel dafür, dass es durch modifiziertes Management möglich ist, die Klimaveränderungen besser abzupuffern, um vielen Arten eine Atempause zum Anpassen oder Auswandern zu geben“. Settele leitet mehrere große Forschungsprojekte, die Risiken für die biologische Vielfalt untersuchen (z.B. ALARM; siehe www.alarmproject.net).
Um solche Veränderungen in der Umwelt rechtzeitig zu erkennen, setzen Forscher inzwischen auf ein verstärktes Umweltmonitoring. Dazu gehört auch das Tagfaltermonitoring, bei dem Tausende Freiwillige in Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden oder Deutschland Schmetterlinge nach derselben Methode zählen. Europaweit wird das Tagfaltermonitoring von Butterfly Conservation Europe (BCE, www.bc-europe.org) koordiniert. In Deutschland hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die Koordination des Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD) übernommen. „Eine systematische Erfassung, wie sie in England an diesem Bläuling durchgeführt wurde, zeigt das Potenzial, das in langfristig und systematisch erhobenen Daten liegt. Im Rahmen des Tagfalter-Monitoring Deutschland haben wir nun die ersten vier Jahre schon recht erfolgreich gearbeitet. Die aktive Teilnahme von mittlerweile etwa 600 ehrenamtlich engagierten Mitbürgern stimmt uns zuversichtlich, dass wir in wenigen Jahren noch weit mehr Aussagen über viele Arten und große Regionen machen können“, erwartet Elisabeth Kühn, die Ko-Autorin des UFZ-Science-Beitrages. Langfristig werden die Daten des TMD eine wichtige Grundlage für realistische Modellierungen beispielsweise zu den Auswirkungen von Klima- und Landnutzungswandel auf die Lebensgemeinschaften der Schmetterlinge darstellen. Damit bietet sich die Möglichkeit, Prognosen für die Zukunft zu erstellen.
Die blauen Schmetterlinge sind inzwischen Teil des „European Grassland Indicator“, der über die Erfassung typischer Tagfalter Auskunft über den ökologischen Zustand von Wiesen und Weiden gibt. Gelingt es, das Frühwarnsystem „Monitoring“ langfristig zu festigen, dann steigen die Chancen dem vollständigen Verschwinden von Arten und Populationen wie im Beispiel Englands entgegenzuwirken – idealerweise bevor diese ausgestorben sind und wieder eingeführt werden müssen. Die UFZ-Autoren weisen daher insbesondere auf die generelle Bedeutung der Studie aus England für den Schutz von Insekten allgemein hin: Schutz von vielen spezialisierten und damit einhergehend meist gefährdeten Arten ist nur über gute ökologische Daten und daraus abgeleitetes Management – meist auf Landschaftsebene – zu erreichen!
Tilo Arnhold
Quelle: UFZ, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung