Deutsche Umwelthilfe fordert nach erneutem Krümmel-Desaster Konsequenzen – Zuverlässigkeit „ernsthaft und nicht nur für die Galerie“ prüfen – Entzug der Betriebsgenehmigung als letztes, aber mögliches Mittel zum Schutz der Bevölkerung – DUH ruft Vattenfall-Kunden zum Wechsel zu Ökostromern auf
Berlin: Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hat den kommissarisch mit der Leitung der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht beauftragten Minister Dr. Christian von Boetticher aufgefordert, die laufende Zuverlässigkeitsprüfung des Krümmel-Betreibers Vattenfall Europe „ernsthaft und nicht nur für die Galerie“ durchzuführen. Zwar sei unbestritten, dass die Entziehung der Betreiberlizenz das letzte Mittel bleibe, wenn andere mildere Maßnahmen nicht zum Ziel führten. „Angesichts des beispiellosen Sündenregisters, das Vattenfall in den vergangenen Jahren angesammelt hat, stellt sich aber die Frage, ob dieser Punkt nicht jetzt erreicht ist“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Er erinnerte an die Parallelitäten zum Transformatorbrand vor zwei Jahren und an die mehrwöchige Vertuschung einer Wasserstoffexplosion im Sicherheitsbehälter des Atomkraftwerks Brunsbüttel Ende 2001.
Obwohl nach dem Transformatorbrand im Sommer 2007 die verantwortliche Führungsspitze ausgetauscht worden war, habe dies offenbar keine positiven Folgen für die Sicherheits- und Kommunikationskultur des Betreibers Vattenfall gehabt. Eine von der schleswig-holsteinischen Aufsichtsbehörde verlangte Überwachungsarmatur für den Transformator sei ebenso wenig eingebaut worden, wie eine Audioeinrichtung zur Stimmaufzeichnung in der Warte. Dass auch diesmal der Kraftwerksdirektor gehen musste, sei angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit nicht ausreichend.
Baake rief die Vattenfall-Kunden auf, „ihr Geld für Strom nicht länger jeden Monat einem Kraftwerksbetreiber zu überweisen, der Atomkraftwerke offensichtlich fahrlässig betreibt“. Wenn Vattenfall seine Meiler Krümmel und Brunsbüttel nicht freiwillig abschalte, müssten eben die Stromverbraucher den Druck erhöhen. „Ökostrom ist heute vielfach nicht mehr teurer als Atom- oder Kohlestrom. Der massenhafte Wechsel zu einem konzernunabhängigen Ökostromanbieter ist in fünf Minuten erledigt und im Geldbeutel kaum zu spüren“, sagte Baake.
„Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt selbstverständlich auch für Vattenfall“, sagte die Rechtsanwältin und Leiterin Energiewende und Klimaschutz der DUH, Cornelia Ziehm, „aber er gilt nicht nur zum Schutz der Interessen des Konzerns.“ Wenn der Schutz der Bevölkerung anders nicht zu gewährleisten sei, erfordere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vielmehr auch den Widerruf der Betriebsgenehmigung infolge der Unzuverlässigkeit eines AKW-Betreibers . „Es ist offenbar, dass Vattenfall gegen Bewährungsauflagen verstößt und die Chance, die die Atomaufsicht vor zwei Jahren gewährt hat, erneut verspielt“, sagte Ziehm. Die Ereignisse der letzten Wochen ließen vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen „bei Vattenfall grundlegende betriebsorganisatorische Mängel und einen Hang zur Nichtbeachtung der für den Betrieb einer Hochrisikotechnologie maßgeblichen Anforderungen erkennen und daher keine positive Sozialprognose für die Zukunft zu“. Offensichtlich habe sich der „bloße Austausch von Führungspersonal und Transformatoren“ als nicht zielführend erwiesen.
Hintergrund: Fatale Tradition
Quelle: DUH