Brasilien: Gewalt gegen Guarani-Kaiowá

Protestaktion von Rettet den Regenwald
Die Lage der indigenen Guaraní im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul ist dramatisch. „45.000 Guarani leiden dort unter extremer sozialer Ausgrenzung“, sagt die bekannte brasilianische Umweltschützerin und Politikerin Marina Silva. Nun kam es nach Berichten von Amnesty International zu neuen Gewalttaten gegen die indigene Gruppe. Gegen etwa 6.30 Uhr am Morgen des 18. November drangen 40 bewaffnete Männer, von denen viele Kapuzen trugen, mit Lastwagen in das Lager der Guaiviry ein. Das Lager befindet sich auf dem Ackerland im Süden des Bundesstaats Mato Grosso do Sul. Die Männer griffen die Gemeinde an und verletzten dabei mehrere Personen. Sie ergriffen den Gemeindesprecher Nísio Gomes und schossen wiederholt auf ihn. Als sein Enkel versuchte einzugreifen, wurde er von den Männern geschlagen.

Augenzeugenberichten zufolge wurde die Leiche von Nísio Gomes bis zu einem der Lastwagen geschleift und hineingeworfen. Die Männer ergriffen außerdem drei Kinder, zerrten auch sie in den Lastwagen und fuhren mit ihnen davon. Es handelt sich hierbei um einen zwölfjährigen Jungen und zwei Mädchen im Alter von fünf und zwölf Jahren. Man hat die Kinder seitdem nicht mehr gesehen. Die Leiche von Nísio Gomes wurde bis jetzt nicht gefunden und man befürchtet, dass sie über die Grenze nach Paraguay gebracht wurde, was das Auffinden deutlich erschwert. Die Bundespolizei, die Bundesanwaltschaft und die „Fundação Nacional do Índio – FUNAI“ (Nationale Behörde für Indigenenangelegenheiten) ermitteln nun.

Die indigene Gemeinschaft der Guaiviry, die entlang der Schnellstraße MS-386 unter sehr gefährlichen Bedingungen lebte, kehrte am 1. November auf ihr Land zurück. Die Angehörigen der Gemeinde haben ihr Lager auf dem Ackerland aufgeschlagen, das bereits seit November 2008 für den Demarkierungsprozess vorgemerkt ist. Anthropologische Studien wurden bereits durchgeführt. Allerdings kann das Land erst dann offiziell demarkiert werden, wenn die Studien veröffentlicht sind. Das Lager der Indigenen war vor dem Angriff am 18. November bereits mehrmals von bewaffneten Männern bedroht worden. Am 16. November hatten die Männer gedroht, Nísio Gomes zu töten.

Trotz der drohenden Gefahr, hat die indigene Gemeinde angekündigt, auf ihrem angestammten Land zu bleiben. „Wir werden in unserem Lager bleiben, wir werden alle genau hier sterben. Wir werden unser tekoha [angestammtes Land] nicht verlassen“, teilte ein Angehöriger der Gemeinde am 18. November gegenüber einem Vertreter der Organisation Conselho Indigenista Missionário (CIMI) mit. Die indigene Gemeinde fordert die Behörden auf, die Bemühungen, Nísio Gomes‘ Leiche und die drei entführten Kinder zu finden, zu verstärken.

Der Bundesstaat Mato Grosso do Sul umfasst einige der kleinsten, ärmsten und am dichtest besiedelten indigenen Regionen Brasiliens: Ländliche und verarmte Regionen, umgeben von großen Soja- und Zuckerrohrplantagen sowie Viehfarmen, in denen das Leben von Krankheit und schlechten Lebensbedingungen gekennzeichnet ist. Rund 60.000 Guarani-Kaiowá leben in prekären Verhältnissen. Der Zusammenbruch des sozialen Systems hat Gewalt und hohe Selbstmordraten zur Folge gehabt und zu Unterernährung geführt. Die nur schleppend verlaufende Übergabe des Landes von den LandbesitzerInnen an die indigenen Gemeinschaften hat bei den Guarani-Kaiowá große Enttäuschung ausgelöst und sie dazu veranlasst, ihrerseits mit der Besetzung angestammter Ländereien zu beginnen. Daraufhin wurden sie eingeschüchtert und mit Gewalt von dem Land vertrieben, das sie besetzt hatten.

Viele Angehörige der Gemeinschaft waren aufgrund der Zwangsräumungen ihres Landes gezwungen, auf das Gebiet neben einer Schnellstraße umzusiedeln. Sie wurden Opfer von Drohungen durch örtliche Wachleute, die angestellt werden, um die Indigenen davon abzuhalten, ihr Land wiederzubesetzen. Da die Behelfsunterkünfte nicht ausreichend waren und es an medizinischer Versorgung mangelte, wurden viele der Indigenen krank. Hinzu kommt, dass zahlreiche Angehörige der Guarani-Kaiowá bei Verkehrsunfällen auf der Schnellstraße verletzt oder getötet wurden.Der Kampf der Guarani-Kaiowá um ihr rechtmäßiges Land führte in den vergangenen zehn Jahren zu zahlreichen Angriffen und Tötungen. Privates Sicherheitspersonal, das von den LandbesitzerInnen angestellt wird, spricht immer wieder Drohungen aus und wendet Gewalt gegen die Indigenen an, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen.

Im November 2007 unterzeichneten der Justizminister, die brasilianische Generalstaatsanwaltschaft, FUNAI-VertreterInnen und 23 SprecherInnen indigener Gemeinschaften ein Abkommen (Termo de Adjustamento de Conduta – TAC). In dem Abkommen verpflichtet sich FUNAI, bis April 2010 insgesamt 36 Grundstücke der Guarani-Kaiowá, einschließlich des Gebiets der Guaiviry, zu demarkieren und an die Gemeinschaft zurückzugeben. Mangelnde Ressourcen und anhängige Gerichtsverfahren haben dazu geführt, dass der Demarkierungsprozess nach wie vor nicht stattgefunden hat. FUNAI hat jüngst angekündigt, im März 2012 einige anthropologische Studien veröffentlichen zu wollen. Die Studien, die das Land der Guaiviry betreffen, sollten gerade abgeschlossen werden, als der Übergriff auf die Gemeinde stattfand.

Sowohl die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker, die Brasilien im Jahr 2007 unterzeichnet hat, als auch das von der brasilianischen Regierung ratifizierte Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation gewährleisten indigenen Völkern das Recht auf Land, das traditionell ihnen gehört. Außerdem werden die Staaten darin aufgefordert, Mechanismen zu entwickeln, mit deren Hilfe diese Rechte zugesprochen und anerkannt werden können. Nicht zuletzt bekräftigt die brasilianische Verfassung von 1988 die Rechte der indigenen Völker Brasiliens auf ihr Land. Die Verfassung verpflichtet den Staat, das Land der indigenen Bevölkerung zu demarkieren.

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen müssen nun alle künftigen Demarkierungen zunächst vom Präsidialamt genehmigt werden, bevor ihnen zugestimmt werden kann. Viele örtliche Organisationen sehen die Grundrechte der indigenen Völker durch diesen Schritt gefährdet.

Bitte schreiben Sie an den brasilianischen Justizminister und den Botschafter Brasiliens in Berlin und fordern Sie die Aufklärung des Mordes von Nísio Gomes und der Entführung der drei Kinder.

dt. Übersetzung der Protest-E-Mail

deutsche Übersetzung:

ABSENDER

JUSTIZMINISTER
Exmo. Sr. José Eduardo Martins Cardozo
Esplanada dos Ministérios, Bloco „T“
70.712-902 – Brasília/DF
BRASILIEN

Fax: (00 55) 61 2025 7803

DATUM

Übergriff auf die Guarani-Kaiowá, Tötung von NíSIO GOMES und Entführung von drei Kindern

Sehr geehrter Herr Minister,

ich habe durch die Gesellschaft für Bedrohte Völker, Deutschland, erfahren, dass am 18. November ein Überfall auf die Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Guarani-Kaiowá, die auf ihr rechtmäßiges Land zurückgekehrt sind, stattgefunden hat. Bewaffnete Männer haben zahlreiche Personen verletzt, den Indigenensprecher Nísio Gomes getötet, seine Leiche verschleppt und drei Kinder entführt. Die Guarani-Kaiowá kämpfen bereits seit mehreren Jahren für ihre legitimen Landrechte und wurden daraufhin mehrmals bedroht und angegriffen. Dies bereitet mir große Sorgen.

Ich bitte Sie daher, den Aufenthaltsort der drei entführten Kinder umgehend zu ermitteln, den Tod des indigenen Gemeindesprechers Nísio Gomes unabhängig und sorgfältig zu untersuchen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Ich möchte Sie außerdem darauf hinweisen, dass es bereits seit langer Zeit keinen angemessenen Schutz für die Gemeinde der Guarani-Kaiowá gibt und fordere Sie daher höflich auf, in Absprache mit ihnen geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

Ich bitte Sie eindringlich, ihrer Verpflichtung gemäß der Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker und der brasilianischen Verfassung aus dem Jahr 1988 nachzukommen, indem Sie alle ausstehenden Landrechtsfragen im Sinne der Indigenen abschließen.

Mit freundlichen Grüßen

Textdokumentation der Protest-E-Mail

MINISTER OF JUSTICE
Exmo. Sr. José Eduardo Martins Cardozo
Esplanada dos Ministérios, Bloco „T“
70.712-902 – Brasília/DF
BRAZIL
Fax: (00 55) 61 2025 7803

BOTSCHAFT DER FÖDERATIVEN REPUBLIK BRASILIEN
S.E. Herrn Everton Vieira Vargas
Wallstraße 57
10179 Berlin
Fax: 030-7262 83-20
oder 030-7262 83-21
E-Mail: brasil@brasemberlim.de

DATE

Attack on the Guaraní-Kaiowá, NÍSIO GOMES killed and three children abducted

Dear Sir,

Through the Society for Threatened Peoples, I have come to know about the attack on the relatives of the indigenous community Guaraní-Kaiowá who have returned to their lawful land. Armed men have injured numerous people, they have killed the indigenous spokesman Nísio Gomes, they have taken away his body and abducted three children. The Guaraní-Kaiowá have been fighting for their legitimate territorial rights for years and, as a consequence, have been threatened and attacked several times. This causes a lot of concerns to me.

I therefore ask you to investigate the whereabouts of the three abducted children, to investigate the death of the indigenous spokesman Nísio Gomes in an independent and thorough way, and to bring the people responsible to trial.

I also want to emphasise that there has not been an adequate protection for the Guaraní-Kaiowá community for a long time. I thus politely request you to take protective measures after a prior consultation with them.

I insist that you comply with your commitment according to the Convention 169 of the International Labor Organisation, the UN-Declaration on Indigenous Peoples Rights and the Brasilian constitution from the year 1988. Please solve all outstanding land rights issues to suit the Indigenous peoples’ wishes and needs.

Sincerely,