Botanik – Unkraut – Was ist das?

Unkraut – was ist das?

Autor: Gregor Dietrich

In den 80ern, als die Umweltbewegung ihren Höhepunkt erreichte, gerieten auch einige bisher verwendete diskriminierende Begriffe ins Kreuzfeuer der Kritik. Mit der Umbenennung von Raubvögeln, die ja nichts rauben, in Greifvögel hatte man einen Präzedenzfall geschaffen. Doch nicht immer war es leicht, geeignete Ersatzbegriffe zu finden. Unkraut sollte zunächst durch Ackerwildkraut ersetzt werden. Ein vollkommen untauglicher Begriff. Denn sowohl „Acker“ als auch „wild“ sind problematische Attribute, wie im Folgenden zu klären sein wird. Daher hat sich unter ökologisch denkenden Menschen der Begriff Beikraut durchgesetzt.

Ökologie
Ökologisch besetzen „Unkräuter“ verschiedenste Nischen. Im Getreideacker wachsen einige von ihnen. Die meisten Ackerkräuter sind aber nicht in Gärten zu finden. Dort gedeihen sogenannte Hackfruchtbeikräuter. Hackkulturen sind neben Gartenbeeten auch Rüben- oder Kürbisäcker. Maisfelder haben eigene, sehr artenarme Beikrautfluren. Dann gibt es noch die Ruderalfluren. So bezeichnet man jene Pflanzengesellschaften, die durch andere Störung als Pflanzenkulturen entstehen, beispielsweise auf Baustellen oder durch Hundekot. Diese Ruderalfluren haben gewisse Ähnlichkeiten in der Artenzusammensetzung mit den Hackfruchtfluren.
Diese hochgradige Anpassung an menschlich geschaffene Lebensräume relativiert auch den Begriff „wild“. In nicht gestalteter Natur können viele Arten gar nicht überleben.

Entstehungsgeschichte
Jetzt erhebt sich die Frage nach dem Ursprung dieser Pflanzen. Dazu müssen wir die Geschichte der Kulturpflanzen betrachten. Im kleinasiatischen Raum begann die Seßhaftwerdung nach der Domestizierung größerer Haustiere. In Ostasien waren es Hühner. Haustiere produzieren so wie der Mensch Dung. In der Natur sind nährstoffreiche Standorte selten, daher nur wenige Pflanzen an Nährstoffreichtum angepaßt. Durch die Ansammlung größerer Dungmengen bei seßhaften Bauern wanderten nährstofftolerante Pflanzen ein. Die Menschen lernten diese plötzlich im Überfluß vorhandenen Gewächse zu nutzen und zu kultivieren. Dabei stand zunächst nur das Vorhandensein der Pflanzen im Vordergrund, auch für Giftpflanzen wurden Verarbeitungsmethoden gefunden, durch die sie genießbar wurden. Bei nicht durch domestizierte Tiere verwöhnten seßhaften Jäger- und Sammlerkulturen in den Tropen sind auch die Kulurpflanzen weniger nährstofftolerant und weniger produktiv.
Jedenfalls wurden die leichter zu erntenden Arten in zunehmendem Maße kultiviert, die anderen in die Unkrautposition gedrängt. Dabei gab es aber durchaus einige Wechselwirkungen zwischen den ernteökonomisch guten und schlechten Arten.

Weizen: Durch „Unkräuter“ zur perfekten Kulturpflanze
Die Wildformen des Weizens wurden schon vor 8000 Jahren gesammelt und später kultiviert. Einige nicht gezielt gesäte Arten wuchsen aber auch als „Unkräuter“ in den Feldern und kreuzten nach und nach in den Kulturweizen ein. Dadurch entstanden immer hochwertigere Kulturarten, die modernsten davon sind hexaploid, haben also drei verschiedene Chromosomensätze dreier hauptsächlicher Elternarten.
In den kälteren Gegenden war Weizen wenig ertragreich, aber ein miteingeschlepptes Beikraut, der Roggen, wurde plötzlich ökonomisch interessant und damit domestiziert.

Von der Kulturpflanze zum Beikraut
Aber auch der umgekehrte Weg ist möglich: Kulturpflanzen können ökonomisch uninteressant werden, durch Verkreuzung weniger ertragreiche Sippen bilden oder Formen ausbilden, deren Ernte sich nicht lohnt. Ein Beispiel dafür ist der Hafer. Das „Unkraut“ Flug-Hafer (Avena fatua) stammt wahrscheinlich vom Saat-Hafer (Avena sativa) ab.
Bei den Gemüsen ist es keineswegs anders als beim Getreide. Frühere Gemüsearten, wie Garten-Melde und Erdbeerspinat mußten dem ertragreicheren Spinat weichen. Im Wesentlichen unterscheiden sich „gute“ Kulturpflanzen und „Unkräuter“ nur durch den ernteökonomischen Wert.

Ursprung der Beikräuter
Beikräuter haben die selbe Herkunft wie unsere Kulturpflanzen. Beide Gruppen kommen von nährstoffreichen Standorten, die in der Natur Mangelware sind: Auwälder (Schlammanlandung: Brennessel, Hopfen), Wildläger (Kot, Urin: Ampfer, Buchweizen), Balmen (trockene Halbhöhlen, Kotungsstellen kleinerer Tiere: Hohlzahn, Erdbeerspinat), Meeresküsten (Versalzung der Böden: Melde, Gänsefuß, Sellerie, Kohl, Rübe), oder entlang der Basis steiler Felswände (ständige Aufschüttung abbröckelnden Materials, Vogelkot: Kornblume, Klatschmohn, Kornrade Lein, Erbse, Getreide).

Nutzung
„Unkräuter“ entstehen erst durch Wohlstand: Denn der gängigen Theorie der optimierten Nahrungsbeschaffung folgend muß man feststellen: Stehen wenige hochwertige, ernteökonomische Nahrungsmittel ausreichend zur Verfügung, lohnt es sich nicht, sich mit anderem abzugeben. Stehen jedoch nicht genug Nahrungsmittel dieser Art zur Verfügung, so ist das längere Aufhalten bei Ernte und Verarbeitung aufwendigerer Nahrungsmittel bzw. auch die Konsumation geringerwertiger Nahrungsmittel ökonomisch interessant.

Wozu dann heute „Unkräuter“ nutzen?
Unsere heutige Ernährung ist übermäßig optimiert, unser Wohlstand so weit gediehen, daß ein Zurückgreifen auf suboptimale Nahrungsmittel keineswegs lebens- oder wohlstandsbedrohlich wird. Wir können uns geschmackliche Vielfalt leisten! Andererseits müssen wir auch bedenken, daß die Optimierung recht unangenehme Folgen bringt. Viele positive Beeinflussungen der Kulturpflanzen durch Beikräuter wurden inzwischen festgestellt, die Pflanzen können auch Grundlage für wichtige Medikamente werden, etc. Viele Gründe gibt es, warum eine Ausrottung der Beikräuter nicht wünschenswert ist. Das heißt aber, daß wir mit ihnen leben müssen. Eine positive Einstellung zu ihnen zu schaffen wird durch eine neue Benennung allein nicht gelingen, aber Liebe geht durch den Magen.