Gehölze – Hecken – Wer frisst an meiner Hecke?

Wer frisst an meiner Hecke?

Autor: Gregor Dietrich

Hecken sind der Früchtemarkt einer Landschaft, Energielieferant für viele Tiere vor und während des Winters. Viele Gewächse fruchten im Herbst und preisen ihre Früchte in leuchtenden Farben an. Mit bunten, zucker- und vitaminreichen Hüllen locken Pflanzensamen Tiere zu ihrer Verbreitung an.

Ob Apfelfrüchte wie Weißdorn und Vogelbeere, Steinfrüchte wie Schlehe und Schneeball, Beeren wie Berberitze und Heckenkirsche, Sammelfrüchte wie Hagebutte und Brombeere – sie alle locken mit ihren Farben unterschiedlichste Tiere zum Verzehr. Jetzt im Herbst reifen die meisten Arten. Denn Zugvögel bieten nun die Chance zur Fernverbreitung. Auch die verbleibenden Vögel vergrößern im Winter ihren Aktionsradius, um ausreichend Nahrung zu finden, und sind auf Früchte angewiesen. So haben Pflanzen die jetzt fruchten und bis in den Winter frisch bleiben sowohl die Chance zur Fernverbreitung als auch größere Chancen in der Umgebung einen neuen Standort zu besiedeln.

Unterschiedliche Vorlieben

Nicht alle Früchte sind gleich beliebt. Untersuchungen für Deutschland zeigten, dass 63 Vogelarten an der Vogelbeere, 62 an Schwarzem Holunder, 48 an Vogelkirsche etc. fressen. Exotische Gehölze schneiden meist viel schlechter ab als heimische. An Berg-, Feld- und Spitz-Ahorn fressen 20, 15 bzw. 10 Vogelarten, an den exotische Arten Tataren- (im östlichsten Österreich heimisch und stark gefährdet!), Eschen- (seit langem eingebürgert) und Amur-Ahorn sind es 7, 4 bzw. 3 Arten. Diese Zahlen sagen uns zwar einiges darüber aus, was gepflanzt werden muß, um ein breites Spektrum an Vogelarten anzusprechen, aber sie sagen uns nichts darüber, wie beliebt sie bei den einzelnen Arten sind. So lieben Amseln Weißdorn (wird von 32 Vogelarten gefressen), Singdrosseln hingegen bevorzugen Eibe (24), die auch von Misteldrosseln neben Mistel (28) und Stechpalme (12) geliebt wird. Seidenschwänze mögen Misteln und Gemeinen Schneeball (22). Sie alle fressen auch die so vielen Vögeln als Nahrung dienende Vogelbeere, aber in der Beliebtheitsskala kommt diese erst weiter hinten. Die Angabe "63Arten" täuscht uns eine Beliebtheit vor, die die Pflanze nicht hat.
Im Garten und in dessen Umgebung können Sie beobachten, was "Ihre" Vögel lieben. Es werden aber nur die wenig scheuen Arten mit breiter Nahrungspalette vor Ihren Augen zu Tisch kommen. Erst mit einem Fernglas ausgerüstet ist oft zu bemerken, wie reichhaltig die Vogelwelt der Umgebung ist. Für die Praxis können Sie so erkennen, welche Straucharten Sie pflanzen können, um bestimmte Arten zu fördern.

Nicht nur Vögel

Nicht nur Vögel nutzen die Fülle der Früchte. Vögel werden vor allem durch zur Umgebung kontrastierende Früchte angelockt. Zwar ist experimentell nachgewiesen, dass Vögel sehr wohl einen guten Geruchssinn haben und ihn auch zur Futtersuche einsetzen, doch sind die typischen Vogelfrüchte eher auf den Gesichtssinn zugeschnitten. Anders die Säugerfrüchte. Apfel, Birne, Quitte etc. sind eher unscheinbar gefärbt, duften aber stark. Andere, wie die Himbeere, vereinen Farbe und Duft, sind also für beide Tiergruppen in gleicher weise attraktiv. Dieser Einteilung leisten die Tiere aber nicht immer Folge. Xy Vogelarten fressen beispielsweise gelegentlich an der Wildbirne, die durchaus mit dem Geruchsinn gefunden wird. Diese hat jedoch nichts davon. Da nur Stücke aus dem Fruchtfleisch gehackt werden, bleiben die Samen liegen. Sie können zwar zum Teil keimen, die keimfördernde Darmpassage und die Startdüngung durch Kot bleibt ihnen allerdings genauso versagt wie die Möglichkeit weitab vom Mutterbaum aufzuwachsen.
Apfel, Birne, Quitte und Mispel werden im Garten kaum die "richtigen" Adressaten ihres Wohlgeschmackes finden: Wildschweine, aber auch andere Huftiere.

Kleinsäuger

Rötelmäuse legen für den Winter Früchtedepots in verlassenen Vogelnestern an. Vor allem Weißdorn hat es ihnen angetan. Auch an Haselnüssen erkennt man ihre Spuren. Diese sehen aus, als wären sie von einem Messer quer durchgeschnitten. Ist jedoch seitlich ein kleines Loch in der Schale, so war es die Waldmaus, die ihren Hunger stillte. Wer längs halbierte Haselnüsse findet, sollte den Blick nach oben in die Baumwipfel richten. Mit Sicherheit ist irgendwo ein Eichhörnchen zu entdecken.
Nicht nur Mäuse leben in Hecken. Spitzmäuse gehören zu den Insektenfressern. Die kleinen Tiere mit raschem Stoffwechsel verhungern schnell. Daher wird in wenigminütigem Rhythmus geschlafen und gejagt. Zwar fressen die Tiere täglich 75 % des eigenen Körpergewichtes an kleinen Tieren wie Insekten und Regenwürmern, doch gerade im Herbst werden Beeren als Beikost wichtig. Sind viele Früchte wurmig, so werden die Insektenlarven samt zugehörigem Fruchtteil gefressen, der Rest wird übrig gelassen.
Seltene Gäste im Garten sind die unter Naturschutz stehenden Bilche. Die häufigste Art ist der Siebenschläfer. Im Gegensatz zu Mäusen, bei denen leere Schalen und ganze Nüsse durcheinander liegen, hält er Ordnung. Dringt er zum Nusslager auf dem Dachboden vor, so wird er in der Nähe einen eigen Haufen für leere Schalen anlegen. Garten- und Baumschläfer bleiben lieber im Freien. Als kleinster Vertreter frisst die seltene Haselmaus gerne an Haselnuss, Brombeere und Geißblatt.

Angebotsschwankungen

Nicht immer ist der Tisch reich gedeckt. Fruchtreiche und –arme Jahre wechseln einander ab. Oft wird dies mit schlechtem Wetter zur Blütezeit und damit schlechter Bestäubung erklärt. Diese Erklärung mag fallweise für einzelne Arten stimmen. Doch scheint es unabhängig von der Blütezeit gute und schlechte Fruchtjahre zu geben, die alle Gehölze betreffen. Die Ursachen liegen noch im Dunkeln. Vielleicht mögen Wetterphänomene zur Wachstumszeit der Früchte Schuld tragen, oder der Befallsdruck durch verschiedene Insekten. Denn trotz sehr unterschiedlichen "Schädlingen" auf jeder Pflanzenart werden die verschiedensten Insekten mitunter doch durch die gleichen Bedingungen dezimiert oder gefördert. Auch artenübergreifende rhythmische genetische Programme zur Schädlingskontrolle durch Nahrungsentzug wurden für fruchtarme Jahre schon postuliert. Das klingt für mich jedoch sehr esoterisch.
Gerade in einer gemischten Hecke findet sich auch eine Vielzahl an effektiven Räubern und Parasiten, die den Befallsdruck reduzieren. Von der Hecke aus können sie auch in intensiver genutzte Flächen ausstrahlen und beispielsweise im Gemüsebeet helfen. Ohne Hecke aber haben viele Arten keine Chance individuenreiche Populationen aufzubauen, die Schädlinge nennenswert dezimieren können.

Schlehenschokolade und Schlehen-Gin

Schlehen nach dem ersten Frost ernten, anstechen und drei Monate in gezuckertem Gin ziehen lassen. Dann Früchte aus dem Gin nehmen, entkernen und schälen, hernach in geschmolzene Schokolade rühren. Auf Reispapier löffeln und erkalten lassen.
Der Schlehen-Gin tröstet uns bis zur nächsten Ernte.

Literaturhinweis: Der Autor hat zahlreiche Beiträge zu pflanzenkundlichen und gartenbaulichen Fragestellungen veröffentlicht. U.a. auch ein Buch über Hecken.