Ein Loblied auf den Holler, das heilige Gehölz
Autor: Gregor Dietrich
Vor dem Holunder muß man den Hut ziehen, sagt eine alte Weisheit. Ihn umzuschneiden oder sein Holz zu verbrennen bringt Unglück. Wo diese Regeln ihren Ursprung haben erklärt Ihnen dieser Beitrag.
Mitten im Juni läßt sie es schneien, die Frau Holle, wenn sie ihre Kissen, die Doldenrispen des Hollerbuschs, in dem sie, die germanische Holla, wohnt, ausschüttelt. Sie, der strenge und hilfreiche Schutzgeist für Haus und Hof, gab dem Holunder vielleicht den Namen – vielleicht auch umgekehrt. Das Wort Holunder leitet sich vom althochdeutschen holuntar ab. Hier versteckt sich der selbe Wortteil wie in Wacholder und Massholder (Feld-Ahorn): die Nachsilbe -dra bedeutete bei den Germanen Baum (englisch: tree). Bei anderen Bäumen ist dieses Suffix durch -baum ersetzt worden (apholdra – Apfelbaum). Holunder ist also der Baum der Holla. Ein anderer Name stammt aus dem Niederdeutschen ist Ellhorn oder Alhorn, wovon sich unser Ahorn ableitet. Er bezeichnete einfach unangenehm riechende Gehölze. Ebenfalls kurios mutet uns eine andere Bezeichnung an: Flieder. Sie stammt erst aus dem Mittelniederdeutschen des 16. Jahrhunderts und bezeichnete exklusiv den Holunder. Seit dem 18. Jhdt. wurde diese Bezeichnung nach und nach, wohl wegen der späten Blütezeit und des starken Geruches, auf den eingeführten Exoten Syringa übertragen. Zunächst mit Beinahmen: Spanischer oder Türkischer Flieder.
Hilfreich wie Holla ist auch ihre Wohnstätte, der Schwarze Holunder (Sambucus nigra) – eine vielseitige Nutzpflanze. Blüten und Steinfrüchte sind Grundlage für Speis und Trank, selbige und Blätter für Medizin, Holz für Musik, die Früchte zum Färben. Schädlinge gibt es nicht: die Holunderblattlaus tritt zwar in Massen auf, schadet aber nicht. Durch die späte Blüte ist der meist als Strauch gezogene, bis zehn Meter hohe Baum ertragssicher.
Zudem hält er vieles aus:
Natürlich wächst er in Hartholzauen, um Viehläger, oder an anderen nährstoffreichen, frischen bis feuchten Stellen. Die Zivilisation hat dem Stickstoffzehrer neue Bereiche erschlossen: Müllplätze und Robinienhaine, Acker- und Fettwiesenränder sowie andere Ruderalstellen. Nicht nur Überdüngung kann der Allerweltspflanze nichts anhaben. Sie zeigt auch hohe Toleranz gegenüber saurem Regen, Giften und Staub. Und pralle Sonne wie Vollschatten stellen ebenfalls bewältigbare Aufgaben dar. Kein Wunder also, daß Holunder allgegenwärtig ist. So fühlte er sich zu Zeiten, als ihn Überdüngung noch nicht überall zu einem imposanten Gehölz werden ließ, eben auch auf Bauernhöfen besonders wohl. Wo das Vieh herumläuft und seinen Dreck hinterläßt wird er bald von selbst auftauchen. Sein unverwechselbares Aroma schützt ihn vor dem Gefressenwerden. Zusammen mit der Vielzahl der Verwendungsmöglichkeiten machte ihn das zum beliebten Hausbaum und zum Heiligen. Heute läßt man kaum noch baumförmigen Wuchs zu. Mit Holunder assoziiert man nurmehr Hollerbusch. Aber auch hier zeigt er Qualitäten. Über auf Stock setzen ist er garnicht böse und treibt rasch durch.
Auch für den Naturschutz ist der Schwarze Holunder ein heiliges Gehölz. Seine Früchte und die Holunderblattlaus sind wichtige Ausgangspunkte des Nahrungsnetzes. Mit 62 Vogelarten nehmen die Fliederbeeren nach der Eberesche (63 Arten) Platz zwei unter den heimischen Vogelfrüchten ein, gefolgt von der Vogelkirsche mit 48 Arten. Inklusive Mensch nutzen auch sieben Säuger die Früchte, darunter auch Beutegreifer wie der Baummarder. Für Wildbienen ist Holler uninteressant, aber für ein Heer an Käfern, Fliegen, Grabwespen und anderen Insekten stellt er Pollen bereit. Die penetrant riechenden Sprosse dienen dagegen nur wenigen Tieren als Nahrungsquelle: Zwei Blattlaus- und zwei Wanzenarten, Feldhase, Feld- und Rötelmaus, aber immerhin elf Kleinschmetterlinge sind die Einzigen, die sich daran laben.
Botanisches über den Holunder
Die Gattung Holunder (Sambucus) aus der Familie der Geißblattgewächse (Caprifoliaceae) enthält ca. 25 Arten, die vor allem die gemäßigten Zonen der Nordhalbkugel bevölkern. In den Gebirgen dringen sie über die Tropen bis nach Südamerika sowie Ost-Australien und Tasmanien vor. Interessanterweise zeigt die Gattung offene Blütenknospen. Auch durch die Fiederbätter weicht sie von anderen Gattungen der Familie stark ab. Sie enthält drei Sektionen:
Die Vertreter der Sektion Ebulus sind ausläuferbildende Stauden. Neben unserem heimischen Attich, der mit einer Unterart (S. ebulus ssp. africana) in Ost-Afrika vorkommt, gehören hierher auch zwei südostasiatische Arten.
Zur Sektion Sambucus, die sich durch Schirmrispen, und weißmarkige Äste auszeichnet, gehören ca. 17 Arten. Außer S. nigra wurden früher auch die großrispige, purpurfrüchtige S. canadensis und die ebenfalls nordamerikanische S. glauca mit blaubereiften Früchten als Zierpflanzen gezogen. Vom Aussterben bedroht ist S. nigra ssp. palmensis, ein Endemit der Lorbeerwälder der Kanarischen Inseln. Dort wird er wenigstens zunehmend als Zierpflanze gepflanzt. Bei uns wäre er als Kübelpflanze brauchbar, wegen seiner Ähnlichkeit zur heimischen Unterart ist er aber wohl chancenlos.
Die letzte Sektion ist Botryosambucus mit braunem Mark in den Ästen und kegelförmigen Blütenrispen. Hierher gehört S. racemosa, der Traubenholunder mit ca. fünf weitere Arten. Die nordamerikanische, behaarte S. pubens und die kleinfrüchtige, ostasiatische S. sieboldiana wurden früher als Zierpflanzen verwendet.