Das Weinviertel botanisch betrachtet
Autor: Gregor Dietrich
Wir müssen nicht immer in die Ferne reisen, um botanisch aufregende Gebiete zu entdecken.
Am Beispiel des Weinviertels wird gezeigt, wie interessant die Flora unserer Heimat sein kann.
Klimatisch gesehen liegt das Weinviertel am Westrand der pannonisch beeinflußten Zone. Das bedeutet heiße, trockene Sommer und schneearme, kahlfrostreiche Winter. Weiter westlich gibt es nur mehr die Wachau und kleinräumige pannonische Enklaven. Geologisch gesehen wird die Landschaft von jungtertiären Tonen und Sanden sowie Löß geprägt. Ursprünglich herrschten wohl pannonische Eichenmischwälder vor. Meist waren Reichfrüchtige Trauben-Eiche (Quércus petráea ssp. polycárpa) und Hainbuche (Cárpinus bétulus) die Leitbäume. An feuchteren Stellen wurde die Trauben-Eiche von der Stiel-Eiche (Quércus róbur) abgelöst. Auf den trockenen Hügeln verschwand die Hainbuche und die Flaum-Eiche Quércus pubéscens prägte das Bild. Im Osten des Gebietes, auf kalkärmeren Böden spielte auch die Zerr-Eiche (Quércus cérris) eine Rolle. Weitere wichtige Bäume der pannonischen Wälder sind Feld-Ahorn (Ácer campéstre), Elsbeere (Sórbus torminális) und Winter-Linde (Tília cordáta). Für die Strauchschicht sind Roter Hartriegel (Córnus sanguínea), Dirndlstrauch (Córnus mas), Pimpernuß (Staphyléa pinnáta), Hasel (Córylus avellána) und Purgier-Kreuzdorn (Rhámnus cathártica) charakteristisch.
Nur auf den felsigen Kalk- und Silikathügeln und wohl auch auf halischen (salzigen) Böden und einigen Lößkanten gab es waldfreie Stellen, wie Lößsteppen und Felsrasen (primäre Trockenrasen), Salzvegetation und Gebüsche. Schon früh wurden die Wälder aber gerodet, um der Landwirtschaft Platz zu machen. Löß bildet einen nährstoffreichen Boden, der auch für anspruchsvolle Pflanzen, wie Rotwein, geeignet ist. Denn beim Wein gibt es Differenzierungen: auf den nährstoffärmeren lehm- oder schotterreicheren Böden werden Weißweinsorten kultiviert, auf den Sand- und reinen Lößböden die anspruchsvolleren Rotwein-Sorten. Mit Wein- und Ackerbau konnten Steppenpflanzen aus dem Osten sowie aus dem Süden mediterrane Elemente einwandern. Diese werden als Archephyten, also alteingewanderte Pflanzen, bezeichnet. Viele davon sind inzwischen wieder Opfer der Intensivierung der Landwirtschaft geworden. Zu diesen frühen Kulturfolgern gehören beispielsweise das Bilsenkraut (Hyoscyamus níger), der stark gefährdete Rapunzel-Wau (Reséda phythéuma) und der Färber-Wau (R. lutéola), die zwischen den Weingartenterrassen und in Hohlwegen zu finden sind. An den selben Standorten sowie an Gebüschrändern wächst die Blasse Stockmalve (Álcea biénnis). Diese Wildform unserer Stockrose (Á. rósea) hat hier ihre nordwestliche Verbreitungsgrenze und ist in Österreich vom Aussterben bedroht. In Äckern wachsen beispielsweise Klatschmohn (Papáver rhóeas), Ackerrittersporn (Consólida regális – gefährdet), Teufelsauge (Adónis aestivális – gefährdet, A. flámmea – stark gefährdet), in kalkarmen Gebieten auch die gefährdete Kornblume (Centauréa cyanus). Einige dieser Ackerbeikräuter sind allerdings nicht eingewandert, sondern neu entstanden. Der Flug-Hafer (Avéna fátua) ist vermutlich aus dem Saat-Hafer (A. satíva) entstanden, also aus einer Art hervorgegangen, die der Mensch hervorgebracht hat – aus einer Kulturpflanze ist eine Wildpflanze geworden. Das Acker-Stiefmütterchen (Víola arvénsis) entstand dadurch, daß das Steppen-Stiefmütterchen (V. kitaibeliána) sich mit dem Ackerbau ausbreiten konnte und mit dem Echten Stiefmütterchen (V. trícolor), das vorwiegend Magerwiesen, aber auch Ackerränder besiedelt, in Berührung kam. Aus den dadurch entstandenen Hybriden bildete sich eine neue Art, die ihre Eltern wieder in die angestammten Lebensräume zurückdrängte. Wieder ein anderes Unkraut ist selbst eine Kulturpflanze: Die giftige und dadurch bei Massenvorkommen durchaus gefährliche Kornrade (Agrostémma githágo) kann nicht einmal selbst ihre Samen verstreuen. Die Öffnung der Kapsel ist zu klein für die großen Samen. Erst durch das Dreschen werden die Samen freigesetzt. Um bei der Saatgutreinigung nicht verlorenzugehen, bildeten sich etliche Sippen, die jeweils das selbe Samengewicht haben, wie die Getreide-Sorten, mit denen sie gemeinsam wachsen. So wird diese Art mit dem Getreide-Saatgut verbreitet. Bei zu hohem Anteil von Kornraden-Samen im Brot kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen. Die modernen Methoden der Saatgutreinigung haben jedoch auch sie an den Rand der Ausrottung gebracht. Die Wildart kommt in Süditalien vor, die Kulturart ist in manchen Teilen Mitteleuropas nicht voll winterhart und daher in kalten Gegenden in Sommergetreidefeldern zu finden. Im Weinviertel aber ist sie hart und wächst auch in Winterungen.
Im Pulkautal gibt es auch einige Salzwiesen, bekannt sind die Standorte bei Pulkau und Zwingendorf. Als charakteristische Elemente finden wir hier z.B. Echten Eibisch (Altháea officinális – gefährdet), Salz-Löwenzahn (Taráxacum bessarábicum – stark gefährdet), Strand-Salzmiere (Spergulária marítima) und an einer einzigen Stelle in Österreich das vom Aussterben bedrohte Strandmilchkraut (Glaux marítima).
Steppenreste gehören zu unseren gefährdetsten Lebensräumen…
Eine andere Form des Kulturlandes sind die Hutweiden: Sie haben nichts mit aus Ästen geflochtenen Kopfbedeckungen zu tun, der Name kommt vom Hüten des Weideviehs. Beweidung hält Bewaldung und Verbuschung zurück – einige Arten des Waldsaumes, also dem Übergangsbereich zwischen Wald und Felsrasen, Felsrasenpflanzen, sowie östl. Steppen- und mediterrane Arten bestimmen das Bild dieser sekundären Trockenrasen. Wieweit diese Steppeninseln erst seit der Weidewirtschaft existieren oder schon vorher durch die heute ausgestorbenen Auerochsen und Tarpane bestanden haben ist eine Streitfrage. Es gibt mehrere Faktoren, die diese Pflanzengesellschaften beeinflussen. Einer ist der Boden.
Im Westen des Gebietes gibt es immer wieder Inseln aus kristallinem Gestein. Diese liegen entlang der Linie Retz – Pulkau – Eggenburg. Die primären Rasen (Fels- und Grusfluren) sind geprägt durch Bleich-Schwingel (Festúca pállens), Knolliges Rispengras (Póa bulbósa), Ausdauerndes Knäuelkraut (Scleránthus perénnis), Fetthennen-Arten (Sédum spp.), Sprossenden Jupiterbart (Jovibárba sobolífera – gefährdet), Berg-Sandglöckchen (Jasióne montána – gefährdet), Böhmischen Gelbstern (Gágea bohémica – stark gefährdet) und Dillenius-Ehrenpreis (Verónica dillénii – stark gefährdet). An den tiefgründigeren Stellen in den sekundären Rasen wachsen Seggen (Cárex húmils, C. supína – gefährdet), Schwingel (Festúca rupícola, F. brevípila, F. valesíaca), Pfriemen- und Federgräser (Stípa capilláta, S. joánnis), Sand-Grasnelke (Arméria elongáta – stark gefährdet), Sand-Strohblume (Helichrysum arenárium – stark gefährdet), Sand- Schwertlilie (Íris húmilis subsp. humilis – stark gefährdet), Kuhschellen (Pulsatílla vulgaris subsp. grándis – gefährdet, P. praténsis subsp. nigricans – gefährdet) und Acker-Wachtelweizen (Melampyrum arvénse – gefährdet). Die Retzer Trockenrasen weisen als Besonderheit Heideflächen auf. Auf ihnen dominiert die Besenheide (Callúna vulgáris). Auch das Katzenpfötchen (Antennária dióica) ist hier zu finden.
Weiter nach Osten werden die Silikattrockenrasen von den artenärmeren, weil nährstoffreicheren Lößtrockenrasen abgelöst. Es sind die Vorposten der osteuropäischen Steppen. Geschlossene Rasen kommen auf Steilhängen vor, auf Lößwänden gibt es nur lückige Vegetation, dafür aber große Mengen an seltenen Wildbienen und Schlupfwespen. Im lockeren Löß unterhalb der Wände lebt der Ameisenlöwe. Furchen-Schwingel (Festúca rupícola), Pfriemengras (Stípa capilláta), Blaue Quecke (Élymus híspidus) und Wehrlose Trespe (Brómus inérmis) sind die prägenden Gräser dieser Gesellschaften. Salbei-Arten (Sálvia nemorósa, S. verticilláta), Später Löwenzahn (Taráxacum serótinum – stark gefährdet), Steppen-Veilchen (Víola ambígua – gefährdet) und Österreichischer Tragant (Astrágalus austríacus – gefährdet) bringen etwas Farbe in die sonst grau-grün-braunen Steppeninseln. Als Besonderheiten finden sich bei Jetzelsdorf die Halbstrauchige Radmelde (Bássia (=Kóchia) prostráta – stark gefährdet), bei Goggendorf und Oberschoderlee die Hornmelde (Krascheninnikóvia ceratoídes – stark gefährdet), bei Ottenthal der Tatarische Meerkohl (Crámbe tatárica – stark gefährdet), bei Stillfried die Kammquecke (Agropyron pectinátum – vom Aussterben bedroht), bei Laa/Thaya den Großen Faserschirm (Trínia kitaibélii – vom Aussterben bedroht) und gegen das Marchfeld die Zwergmandel (Prúnus tenélla – stark gefährdet).
Im Bereich der Klippenberge (Leiser Berge, Falkensteiner Berge) gibt es Kalktrockenrasen. Die primären Felsrasen sind geprägt durch Bleich-Schwingel (Festúca pállens), Knolliges Rispengras (Póa bulbósa), Blaugras (Sesléria álbicans), Erd-Segge (Cárex húmilis), Fetthennen-Arten (Sédum spp.), Steinkraut-Arten (Alyssum alyssoídes, A. montánum), Heideröschen (Fumána procúmbens), Berg-Gamander (Téucrium montánum) und Borsten-Miere (Minuártia setácea – gefährdet). Dort wo der Fels mit etwas Erde bedeckt ist, sind Walliser Schwingel (Festúca rupícola), Berg-Lauch (Állium montánum), Büschel-Miere (Minuártia fastigiáta – gefährdet), Niederliegender Ehrenpreis (Verónica prostráta) und Christusauge (Ínula óculus-chrísti – gefährdet) zu finden. Die sekundären Rasen sind sehr artenreich. Das vorherrschende Gras ist die Aufrechte Trespe (Brómus eréctus), daneben Fieder-Zwenke (Brachypódium pinnátum) und Glatthafer (Arrhenátherum elátius). Zu den wichtigsten Blumen gehören Kopfiger Geißklee (Chamaecytisus supínus), Sand-Esparsette (Onóbrychis arenária – gefährdet), Zwerg-Schwertlilie (Íris púmila) und Acker-Wachtelweizen (Melampyrum arvénse – gefährdet). Der zweite wichtige Faktor ist die Beweidung.
Rinder greifen ihre Futterpflanzen mit der Zunge, weswegen niedrige Pflanzen, die kein Abfressen des Laubes ertragen, wie Orchideen oder kleine Schwertlilien (Íris húmilis, Í. púmila) aufkommen können. Schafe beißen ihr Futter knapp über dem Boden ab, Ziegen reißen die Pflanzen teilweise mit Wurzeln aus, was die Artenvielfalt reduziert. Durch den Viehtritt werden Ephemerophyten gefördert – also Pflanzen, die nur wenige Wochen bis Monate alt werden. Den Charakter der Trockenrasen prägen allerdings die Zwergsträucher, wie Ginster-Arten.
Durch die Aufgabe der Viehwirtschaft im Weinviertel finden sich Trockenrasenreste nur mehr an Stellen die für den Ackerbau zu flachgründig sind. Allerdings verbuschen diese Stellen langsam: Die Zwerg-Weichsel (Prúnus fruticósa) wird höher, andere Sträucher folgen. Die sonnenanbetenden Trockenrasenpflanzen verschwinden unter der Beschattung. Trockenrasen gehören somit gemeinsam mit Mooren und Auwäldern zu den gefährdetsten Lebensräumen Mitteleuropas.
…die Akazie zu den größten Problemen
Das größte Problem des Weinviertels ist allerdings die aus Nordamerika stammende Robinie (Robínia pseudoacácia), fälschlich Akazie genannt. Dieser wurzelsproßbildende Baum lebt in Symbiose mit stickstoffbindenden Bakterien, die den Boden düngen. Durch diese Fähigkeit und dadurch, daß die Robinie aus trockenen Gebieten stammt, kann sie auch dort wachsen, wo keine heimischen Bäume mehr aufkommen, also auch auf Trockenrasen, sogar Eichenwälder werden durch sie zerstört: die überdüngten Eichen sterben ab, die Robinie breitet sich durch Wurzelsprosse aus. In Robinienhainen überleben auf Dauer nur wenige Arten. Je nach Feuchtigkeit finden wir oft Reinbestände von Brennessel (Urtíca dióica), Klett-Labkraut (Gálium aparíne) oder Osterluzei (Aristolóchia clematítis). Nur an den trockensten Stellen überleben etwas mehr Arten, die Trockenrasenpflanzen und -tiere überleben Robinienbewuchs nicht. Die Robinie kann praktisch überall wachsen, bringt in den Boden zuviel Stickstoff ein (In Reinbeständen angeblich bis zu dreimal soviel wie ein durchschnittlicher Landwirt jährlich düngt!) und gehört somit weitgehend unbekannter Weise zu den größten ökologischen Katastrophen Ostösterreichs.
Oft wird sie leider noch immer zur Böschungsbefestigung gepflanzt. Dabei stehlen sie den weinviertler Hohlwegen ihre Charakteristik. Krautige, ausläufertreibende Lößpflanzen, wie Quecken (Élymus-Arten), Wehrlose Trespe (Brómus inérmis), oder ausläuferbildende Kleinsträucher, wie Zwergweichsel, Zwergmandel, Schlehdorn (Prúnus spinósa) und Bibernell-Rose (Rósa pimpinellifólia), wären hier besser geeignet.