Winden

Morgendliche Pracht

Autor: Gregor Dietrich

Winden – was für ein armseeliger Name für diese Herrlichkeit! Der englische Name Morning Glory trifft viel mehr, was man beim Anblick dieser Pflanzen fühlt.

Ich will es gleich gestehen: Von Kindheit an gehörten Winden für mich zu den faszinierendsten Gewächsen. Ich werde aber versuchen objektiv zu schwärmen. Es sind ja nicht alle Arten schön. Die Familie selbst ist mit etwa 2000 Arten nicht besonders groß. Die Kronblätter aller Arten sind untereinander verwachsen – meist so weit, dass die Blütenkrone in der Aufsicht kreisförmig ist. Die Einzelblüten halten oft nur wenige Stunden, bei vielen Arten öffnen sie sich in der Morgendämmerung und verblühen in der Mittagssonne, was ihnen ihren englischen Namen eingebracht hat. Ca. 55 Gattungen werden derzeit anerkannt. Nur wenige Arten werden bei uns kultiviert, doch hätten es viel mehr verdient in Kultur verbreitet zu sein. Zumeist begegnen wir ihnen in unseren Gärten als einjährige Schlinger. Das ist nicht weiter verwunderlich, handelt es sich doch um eine vorwiegend tropische Familie. Doch es gibt auch einige Stauden. Als Kübelpflanzen werden in Zukunft hoffentlich mehr Arten Verwendung finden, für das Zimmer werden viele Arten leider zu groß.

Prunkwinden

Die größte Gattung der Familie, der ich mich hier widmen will, ist Ipomoea mit ca. 500 Arten. Deutsche Namen der Gattung sind Trichterwinde, Prunkwinde oder Prachtwinde. Ich möchte hier bei der in der Literatur gebräuchlichsten Bezeichnung Prunkwinde bleiben, aber es sei darauf hingewiesen, dass gerade die Winden ein Beispiel dafür sind, dass bei den deutschen Namen oft ein größeres Chaos herrscht als in der oft verteufelten wissenschaftlichen Namensgebung (Nomenklatur).

Chaos nicht nur in Samenkatalogen

Wissenschaftliche Nomenklatur, das war auch gleich ein Stichwort. Denn ein Vertreter der Gattung fällt ganz aus dem Rahmen. Die Blütenkrone ist hier nicht trompeten- bis radförmig wie bei allen anderen Arten, sondern ist vorne wieder verengt, so dass sie mit ihrer Krümmung ein bißchen bananenartig aussieht. Die Knospen sind rotorange, nach dem Aufblühen werden sie fahlgelb. Die Einzelblüte hält länger als 24 Stunden. Wegen dieser offensichtlich eigenartigen Erscheinung wurde die Art in einer eigenen Gattung als Mina lobata geführt.

Es gab auch eine andere sehr hübsche Gattung, die Kardinalswinden (Quamoclit). Hier wurde eine Hand voll Arten zusammengefaßt, die leuchtend rote, von Kolibris bestäubte Blüten haben. Diese Arten bilden jedoch mitunter Kreuzungen (Hybriden) mit Mina. Also hieß Mina fortan Quamoclit lobata. Heute findet man keine Argumente mehr diese Gattung von Ipomoea zu trennen, in der gärtnerischen Literatur und im Samenhandel werden Sie aber oft über diese Namen stolpern. Zum Glück keine weitere Verbreitung gefunden hat Pharbitis, eine zeitweise von Ipomoea getrennte Gattung, zu der viele Gartensorten gehören. Nebenbei werden in vielen Publikationen leider auch die Gattungen Ipomoea und Convolvulus verwechselt, v.a. da es sowohl eine Ipomoea tricolor als auch eine Convolvulus tricolorgibt.

Quamoclit

Bleiben wir bei den vogelblütigen Arten, deren Blüten den ganzen Tag geöffnet sind. Insgesamt gehören hierher etwa ein Dutzend Arten. Die Blüten von Ipomoea lobata habe ich bereits beschrieben, die Sorte ‚Citronella‘ ist auch als Knospe gelb. Die handförmigen Blätter haben ebenfalls einigen Zierwert. Die Art ist an sich eine Staude, überlebt aber als Mexikanerin unsere Winter nicht, doch auch in der einjährigen Kultur erreicht sie in sonniger Lage bis zu 5 m Höhe. Vorkultur ist allerdings nötig. Als Kübelpflanze muß die Art hell überwintert werden, auch in Wintergärten fühlt sie sich wohl. Halbschatten stellt für sie kein Problem dar. Die Vermehrung kann auch über Stecklinge erfolgen.

Die anderen im Handel befindlichen Arten dieser Gruppe, meist als Sternwinde bezeichnet, zeichnen sich durch recht kleine, trompetenförmige, kardinalsrote Blüten aus. Der Blütendurchmesser beträgt etwa 2 cm. Alle diese Arten sind einjährig, benötigen einen warmen, vollsonnigen Standort auf basischem Boden, wollen vorkultiviert werden und unterscheiden sich untereinander im Blattschnitt: Die Kardinal-Prachtwinde (I. quamoclit, früher Quamoclit pinnata) aus den amerikanischen Tropen wird bis 2 m hoch und hat fast farnartig gefiedertes Laub in dunkelgrün. Es gibt auch Sorten mit Blüten in rosa und weiß. Die Fieder-Prachtwinde (I. (Qu.) x multifida, syn. I. (Qu.) x sloteri) hat etwas weniger stark gefiederte Blätter. Sie wächst etwas kräftiger als die vorige. Bis in die südlichen USA und ins südliche Argentinien dringt die Efeu-Prachtwinde (I. (Qu.) hederifolia) vor. Sie ist mit ihren 3-5lappigen Blättern recht attraktiv, aber kaum im Angebot. Typische Windenblätter (herz- bis pfeilförmig) hat die Stern-Prachtwinde (I. (Qu.) coccinea). Diese in Mexiko und den südlichen USA heimische Art soll nach Literaturangaben bis 5 m hoch werden. Mehr als 50 cm hat sie bei mir leider nicht geschafft. Allerdings kann das daran liegen, daß ich damals glaubte diese Arten wollten sauren Boden, aber das Gegenteil ist der Fall! Fast alle Ipomoeen lieben Kalk.

Die großen Morgenblüher

Die typischen Prachtwinden blühen vormittags und zerfließen in der Nachmittagssonne. Ihre Blüten sind recht groß und färben sich im Laufe ihres kurzen Daseins oft um. Die Arten werden in den Samenkatalogen immer wieder verwechselt. Hier finden Sie die Sorten unter den richtigen Arten angeführt! Alle diese Arten erreichen etwa 3 m Höhe.

Die Bunte Prachtwinde (I. purpurea) aus dem tropischen Amerika ist die bekannteste Art. Ihre Blüten gibt es in allen Abstufungen von weiß bis dunkel violett, in allen Schattierungen von fast rot bis fast blau. Mit nur 6-8 cm Durchmesser sind die Blüten bei weitem nicht so groß wie bei vielen anderen Arten. Die Sprosse sind behaart, die Blätter herzförmig. Bis zu 3 m Höhe erreicht sie bei uns in einem Sommer. Inzwischen ist die echte Einjährige über die Tropen und Subtropen der ganzen Welt verbreitet. Bei uns wird sie an einem sonnigen Platz direkt ins Freiland gesät und ist auch wenig empfindlich gegen kühles Wetter. Gelegentlich verwildert sie sogar. Es gibt auch ein paar Namenssorten:

Milky Way: weiß mit fünf violetten Markierungen
Scarlet Star: magenta mit weißem Auge
Star of Jalta: samtig dunkelviolett mit weißem Auge
Ähnlich, aber mit dreilappigen Blättern, ist die neuweltlich-tropische I. hederacea. Sie blüht meist eher blau, aber eine rote Sorte Scarlet o Hara taucht gelegentlich im Handel auf.

Als zweitwichtigste Art hat sich bei uns die mexikanische Blaue Prachtwinde (I. tricolor) etabliert. Sie hat einen Bütendurchmesser von 8-10 cm, manchmal sogar bis 12 cm. Die Blätter sind spießförmig, die Pflanze ist kahl. Eigentlich handelt es sich um eine kurzlebige Staude, die bei uns allerdings nicht überwintern kann. Bei einjähriger Kultur empfiehlt es sich den Warmkeimer vorzutreiben. Die Art will sonnig stehen und ist als Ausnahme unter den Winden etwas kalkempfindlich. Leicht saurer, gut gedüngter Boden wird bevorzugt. Bei kalkhältigem Substrat sollte Eisendünger verwendet werden. Als Kübelpflanze verlangt diese Art eine helle Überwinterung, an hellen Stellen ist sie auch als Zimmerpflanze verwendbar. Von der an sich blauviolett blühenden Art gibt es einige Sorten:

Heavenly Blue Himmelblau: reich- aber relativ kleinblütig, himmelblau
Blauer Himmel, Rubro Caerulea Praecox,Early Flowering, Heavenly Blue: heller blau, groß- und frühblühend
Turris: scharlachrot, Schlund und Rand weiß, kaum erhältlich
Flying Saucers: blau/weiß marmoriert, im Verblühen blau/weiß/rosa, selten erhältlich

Aus den altweltlichen Tropen stammt I. nil. Sie ähnelt I. purpurea, hat aber nicht immer herzförmige, sondern oft dreilappige Blätter. Sie steht in ihrem Aussehen also zwischen I. purpurea und I. hederacea. Die Blüten sind in der Farbe genauso variabel, aber viel variabler in der Größe: 6-15 cm kann ihr Durchmesser betragen. Laut Literatur soll es sich in den Tropen um Stauden handeln. Die Pflanzen sind aber noch einfacher zu kultivieren als I. purpurea und streuen sich bei uns selbst aus. Unverständlich, daß sie kaum erhältlich sind und schade, dass ich sie in einem Anfall von Sauberkeitswahn ganz aus dem Garten entfernte!

Die vorige Art ist allerdings die wichtigste Stammform der Japanischen Kaiserwinden oder Kaiser-Prachtwinden (I. x imperialis), die in manchen Katalogen unter I. nil geführt werden. Dabei handelt es sich um einjährige Kletterer die es in sich haben: bis 30 cm messen ihre Blüten im Durchmesser! In Japan waren diese Pflanzen vor hundert Jahren beliebte Sammel- und Wettbewerbsobjekte, für die z.T. Fantasiepreise erzielt wurden. Die größten Blüten werden unter Glas erzielt, im Freiland ist wegen der im Wind leicht zerreißenden Blüten ein geschützter Platz nötig. Nur wenige Sorten sind bei uns erhältlich.

Chocolate: riesige, hell braunviolette Blüten
Early Call Mixed: kältetolerante, kleinblütigere Mischung
Eine letzte einjährige Art sei noch erwähnt: I. hirsuta, eine Art mit dreilappigen Blättern und kleinen, sternförmigen Blüten. Mini Sky-Blue blüht blau.

Kübel und Wintergarten

Einige Stauden gibt es auch unter den Prachtwinden. In den letzten Jahren wird I. indica (I. acuminata, I. learii) aus den Tropen Amerikas regelmäßig als Kübelpflanze angeboten. Sie ist als Pflanze recht kältetolerant und ist in weiten Teilen des Mittelmeerraumes eingebürgert. Die großen Blätter sind seicht dreilappig, die Blüten violett. Leider sind für ein befriedigendes Blühergebnis die wärmsten Plätze vonnöten. Bei reichlicher Düngung können im Sommer 6 m Höhe erreicht werden. Im Herbst wird die Pflanze zurückgeschnitten und frostfrei überwintert. Im Wintergarten kann der Rückschnitt entfallen.
Eine andere Art bekommen Sie im Lebensmittelhandel: die Süßkartoffel oder Batate (Ipomoea batatas). Die länglichen Knollen werden im Frühling bis Frühsommer in Töpfe gepflanzt. Die Triebe mit ihren spießförmigen Blättern wachsen kriechend bis hängend, können aber aufgebunden werden. Die Pflanzen sind Kurztagsblüher, die frühestens Ende September blühen, also ist ein Platz im Wintergarten oder am Zimmerfenster nötig. Die Blüten sind recht klein, aber sehr hübsch in violett mit deutlich abgesetztem breitem weißem Rand. Im Spätwinter kann eine Ruhepause eingelegt werden.

Die afrikanische I. cairica ist in südlichen Ländern oft als Zierpflanze zu sehen. Ihre 5-7zählig gefingerten Blätter erinnern an Passionsblumen. Die Blüten sind hell purpurn mit dunklem Schlund. Die Vermehrung durch Stecklinge ist recht einfach. Ein nicht zu kalter Wintergarten in der kalten Jahreszeit und volle Sonne im Sommer. Zwar werden ausgepflanzte Stöcke bis 10 m hoch, doch wächst die Art relativ langsam, so dass sie im Wintergarten leicht zu bändigen ist. Ein Samenanbieter hat I. andersonii im Angebot. Diesen Namen konnte ich in keiner der mir zugänglichen Datenbanken verifizieren. Der Abbildung nach sehe ich keinen Unterschied zu I. cairica.
Erwähnt werden muß unbedingt noch die weißblütige Mond-Prachtwinde (I. alba, syn. Calonyction bona-nox), die mitunter auch einjährig gezogen werden kann. Sie blüht vorwiegend in der Nacht und duftet stark. 2-3 m windet sie sich jeden Sommer empor. Im Herbst wird sie zurückgeschnitten und kühl überwintert.

Besonderheiten

Man-of-the-earth nennen die Nordamerikaner ihre I. pandurata, eine Knollenstaude, die auch bei uns unter Schutz winterhart ist. Sicherheitshalber sollten einige Knollen wie Dahlien überwintert werden. Die Blüten sind weiß mit purpurnem Schlund, die Blätter spieß- bis herzförmig, und die Triebe erreichen etwa 3 m Länge.
In den altweltlichen und australischen Tropen wächst ein Sonderling, der in Ostasien als Gemüse dient: I. aquatica ist eine Schwimmpflanze mit aufgeblasenem Stängel und spießförmigen Blättern. Hin und wieder bekommt man Jungtriebe in Geschäften die asiatisches Gemüse führen angeboten. Diese können in Schalen mit Lehm, über dem ca. 1 cm Wasser steht, zum Weiterwachsen gebracht werden. Sobald die Pflanzen kräftig genug sind, können sie als Schwimmpflanzen ins Aquarium eingebracht werden. Im Sommer können die Pflanzen in den Teich gesetzt werden, wo sie von der Sumpfzone aus ins offene Wasser vordringen. Die Blüten sind klein und purpurn.
Zum Schluß möchte ich erwähnen, dass es auch nicht kletternde Arten gibt, wie die Staude I. arborea oder den Strauch I. carnea mit der Unterart subsp. fistulosa. Diese Arten können Sie in tropischen Gärten antreffen. Vielleicht finden sie als Stecklinge einmal den Weg in heimische Wintergärten.

Keimung

Alle Prachtwinden sind Warmkeimer und benötigen mindestens 20 °C für befriedigende Keimergebnisse. Die Samen können einige Stunden in handwarmem Wasser vorgequollen werden, was die Keimung erleichtert. Bei größeren Samen empfielt es sich vor dieser Behandlung die harte Samenschale an einer Stelle einzufeilen.

Gift

Alle Winden außer Süßkartoffel und I. aquatica enthalten in allen Pflanzenteilen giftige Alkaloide! Die harmloseren davon dienen als Halluzinogene und sind meist in den Samen konzentriert. Um den Gebrauch dieser Drogen zu unterbinden werden die Samen der Arten, deren Samen keine ärgeren Gifte enthalten (z.B. I. tricolor) mit Giftstoffen gebeizt, die zum anaphylaktischen Schock führen können.