Nachfolgend wird ein Positionspapier der NaturFreunde dokumentiert.
Umsteuern in nachhaltige Entwicklung
Die Krise der Finanzmärkte und ihre Folgen für die Weltwirtschaft haben gezeigt, dass die kapitalistische Wachstumsideologie der vergangenen Jahrzehnte an ihre Grenze gestoßen ist.
Die Menschheit muss aus dieser Krise lernen, mit den Grenzen und der Endlichkeit der auf dem Globus vorhandenen Ressourcen umzugehen. Die Herausforderung geht über die traditionelle Umweltpolitik, über ökologische Industriepolitik, Effizienzverbesserungen und Innovationen hinaus. Unabdingbar ist eine kulturelle Neuorientierung, zu der auch Suffizienz – Genügsamkeit und Bescheidenheit – und Konsistenz – Systeme und Verfahren, die dauerhaft naturverträglich sind – gehören. Freiheit heißt auch, sich im Interesse künftiger Generationen zu beschränken. Dabei muss eine Beschränkung nicht Verzicht heißen, sondern meint: Exzesse vermeiden und intelligent konsumieren.
Wir sind an einer der seltenen geschichtlichen Weichenstellungen, an denen grundlegende Neuorientierungen möglich werden und sind. Wir brauchen jetzt einen Paradigmenwechsel zu einer sozialökologischen Ordnung: Wir müssen nach dieser Krise in die in Rio 1992 international verabredete „Nachhaltige Entwicklung“ umsteuern.
Der sozialökologische Umbau wird nicht in einer Wahlperiode möglich sein. Aber wir müssen bei allen politischen Entscheidungen der nächsten Jahre die Kriterien der Nachhaltigkeit berücksichtigen und neue Initiativen einleiten. Politik braucht die Perspektive eines guten Lebens für alle, die den Anforderungen einer dauerhaft umweltgerechten Globalisierung entspricht. Wir fordern deshalb von den politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen – von den Vereinten Nationen bis zu den Kommunen, von Mandatsträgern bis zu Verbandsfunktionären:
1. Eine strikte Regulierung der Finanzmärkte und eine Tobin-Steuer, um spekulatives Kapital abzuschöpfen. Klare Regeln und wirksame nationale und internationale Aufsicht müssen Stabilitätsrisiken und wirtschaftlich schädliche Fehlentwicklungen verhindern.
2. Die Einführung einer Zukunftsanleihe von 250 Mrd. €, die über einen mehrjährigen Zeitraum eine feste Verzinsung garantiert. Das Aufkommen wird zweckgerichtet in die ökologische Modernisierung fließen.
3. Die Bildung eines Globalen Rates der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung. Dieser Rat soll wirtschaftliche Interessen, soziale Bedürfnisse und ökologische Notwendigkeiten aufeinander abstimmen, sowie unkontrollierte Kapitalbewegungen, soziales und ökologisches Dumping begrenzen helfen.
4. Dass die Mittel für die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung in den Ländern des Südens bis 2015 auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden.
5. Eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Bruttoinlandsprodukt), welche auch eine Aufstellung der bei der Erwirtschaftung des BIP verursachten ökologischen Verminderung bzw. Verschlechterung an Bodenschätzen, am Bestand von Tieren und Pflanzen, bei den Umweltmedien Boden, Luft und Wasser in der Berichtsperiode umfasst. Sachverständigenrat und wirtschaftswissenschaftliche Institute müssen entsprechende Kennziffern in ihre Berichte aufnehmen.
6. Dass umweltschädliche Subventionen und Steuerprivilegien abgebaut werden. Die Einsparungen der öffentlichen Haushalte können als „Klimabonus“ für private Energie-Effizienz-Investitionen und als „Sozial-Bonus“ zur Aufstockung von Transferleistungen, zum Beispiel für kleine Renten, Hartz IV, Sozialhilfe, BaföG, verteilt werden. Zugleich muss die Finanzreform um Abgaben für den nichtenergetischen Verbrauch von Rohstoffen und für die Flächenversiegelung ergänzt werden.
7. Die politische Gestaltung einer ressourcenleichten Gesellschaft, die mittelfristig den Ressourcenverbrauch halbiert und bis 2050 auf 25% der heutige Verbrauch senkt. Eine Steuermöglichkeit wäre der Ausbau der Ökosteuer zu einer Verschmutzungssteuer, die alle Rohstoffe einbezieht. Die Einnahmen sollen aufkommensneutral an die Unternehmen orientiert an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ausgeschüttet werden. Studien zufolge könnten dadurch bis zu einer Million zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
8. Eine Verschiebung der Besteuerung von Arbeit zu einer Besteuerung des Ressourcenverbrauchs, um Effizienzsteigerungen im Bereich des Materialverbrauchs zu erreichen und den Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu mindern.
9. Konjunkturbedingte Ausgabenprogramme (Konjunkturprogramme) müssen sich daran orientieren, ob damit Klimaschutz, Ressourceneffizienz oder die soziale Infrastruktur (z.B. Bildung, Gesundheit) gefördert werden. Subventionen für veraltete und ineffiziente Sackgassentechnologien im Energiebereich (etwa Kohlekraftwerke oder CCS) und im Verkehrswesen (Abwrackprämie) werden abgelehnt.
10. Die öffentliche Daseinsvorsorge, Energie- und Wasserversorgung sowie Abwasser- und Abfallentsorgung muss wieder in den Einfluss der Kommunen zurückkehren. Das ist auch ein Gebot der Demokratie. Die Leitungsnetze gehören in das Eigentum der öffentlichen Hand. Abfallvermeidung hat Vorrang vor Abfallverwertung. In der Europäischen Union müssen Tendenzen zur weiteren Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Aufgaben entschieden bekämpft werden.
11. Der begonnene Ausstieg aus der Atomenergie muss bis 2021 umgesetzt werden. Außerdem sollte eine Brennelementesteuer und eine angemessene Haftpflichtversicherung für Schadensfälle an Reaktoren eingeführt werden, um die Legende billigen Atomstroms zu beerdigen und bisher sozialisierte Kosten durch die Stromkonzerne zahlen zu lassen.
12. Aus Gründen der Versorgungssicherheit und des Klimaschutzes muss es das Ziel sein, bis Mitte dieses Jahrhunderts auch auf fossile Energieträger verzichten zu können.
13. Durch die Steuerbefreiung für Kerosin und die Umsatzsteuerbefreiung auf internationale Flüge erhält der Luftverkehr einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Verkehrsträgern. Da diese durch internationale Vereinbarungen verursachte Steuerbefreiung nicht kurzfristig abzuschaffen ist, werden stattdessen die Start- und Landegebühren erhöht. Treibstoffzuschüsse, wie sie an manchen deutschen Flughäfen bezahlt werden, sind zukünftig untersagt. Außerdem wird der inländische Streckenanteil internationaler Flüge besteuert.
14. Die Energieversorgung muss unter Berücksichtigung vorhandener Technologien und Potenziale möglichst dezentral gestaltet werden. Neue hocheffiziente Kohle- und Gaskraftwerke werden nur zugelassen, wenn eine dezentrale Versorgung mit Kraft-Wärme-Kopplung erfolgt. Soweit zur Sicherung der Grundlast überregionale Verbünde erforderlich sind, können sie künftig auch über eine begrenzte transeuropäische Netzstruktur durch Solarenergie, Windkraft, Biomasse aus nachhaltig bewirtschafteten Flächen, Geothermie und Meeresenergie dargestellt werden. Forschung und Entwicklung im Bereich Erneuerbarer Energien müssen verstärkt werden.
15. Wir müssen dem Ausbau des Schienennetzes einen eindeutigen Vorrang gegenüber dem Ausbau von Bundesfernstraßen geben. Gleichzeitig bedarf es eines dringenden Ausbaus des schienengebundenen Güterverkehrsnetzes. Mit einem Tempolimit von 120 km/h für Autobahnen kann nicht nur der Kohlendioxid-Aussstoß, sondern auch der Flächenverbrauch reduziert werden. Alle Vorhaben zum Ausbau von Binnenwasserstraßen werden nach den Kriterien von Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen sein. Eine weitere Vertiefung der Unterelbe wird abgelehnt. Stattdessen sollte ein gemeinsames Hafenkonzept entwickelt werden. Die Donau darf den Beschlüssen des Bundestags entsprechend nicht weiter mit Staustufen ausgebaut werden. Der ÖPNV muss durch verbesserte Finanzzuweisungen an die Länder verstärkt gefördert werden. Der Luftverkehr mit seinen hohen Emissionen an Schadgasen darf nicht weiter direkt oder steuerlich subventioniert werden. Ein weiterer Ausbau von Flughafenkapazitäten in Deutschland ist nicht zukunftsfähig.
16. Wir müssen die Natur in ihrer Vielfalt und in ihrem Artenreichtum bewahren. Im Konfliktfall heißt das: Naturschutz vor Rücksichtnahme auf kurzfristige wirtschaftliche Interessen. Die Empfehlungen der Nationalen Biodiversitätsstrategie müssen im angestrebten Zeitraum umgesetzt werden. Dabei geht es auch um die Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, den Flächenverbrauch erheblich zu reduzieren. Dazu sollte eine nationale Bodenkonferenz einberufen werden, in der die erforderlichen Absprachen mit Ländern und Kommunen getroffen werden können.
17. Wir fordern, dass der giftfreie, artenreiche ökologische Landbau gefördert wird. Wir wollen die Weichen für eine Kreislauflandwirtschaft stellen. Eine Genehmigung für industrielle Massentierhaltung darf es nicht mehr geben. Die Verbraucheraufklärung muss darin unterstützt werden, für die Ernährung regionale und saisonale Produkte zu empfehlen, die nach dem Gebot der Nachhaltigkeit hergestellt worden sind. ´
18. Die „grüne Gentechnik“ muss gestoppt werden, um eine Kontaminierung von Mensch und Natur zu verhindern. Patentrechte an der Natur und an den Genen der Lebewesen darf es nicht geben. Die Aneignung von Zuchtergebnissen bei Nutzpflanzen und -tieren durch internationale Konzerne muss gestoppt werden.
19. Bildung für nachhaltige Entwicklung: Die laufende UNO-Dekade zur „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ (2004–2014) muss durch eigene Programme des Bundes in allen Bereichen des Bildungswesens unterstützt werden, um Fähigkeiten und Motivation des Einzelnen zu fördern, sich gesellschaftlich und politisch für ein Umsteuern auf Nachhaltigkeit einzusetzen.
20. Das Ehrenamt im Natur- und Umweltschutz muss gestärkt werden. Finanzielle Aufwendungen müssen steuerrechtlich geltend gemacht werden können.