Was ist ein Bürgerentscheid in Hamburg wert?

Wenn Demokratie zur Farce wird.
Im Bezirk Eimsbüttel wird derzeit unter Mitwirkung des Hamburger Senats eine demokratische Mehrheits­entscheidung der Bürger durch juristische Winkelzüge außer Kraft gesetzt. In dem Bürgerentscheid „Für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!“ hatten die Eimsbüttler im Sommer 2010 mit einer überwältigenden Abstimmungsmehrheit von rund 70 % den Bezirk angewiesen, „auf Gehölzrodungen und Bebauungen zwischen dem Isebekkanal und dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke zu verzichten“. Doch nun will der Bezirk ebendort statt des riesigen „Hoheluftkontors“ einen noch größeren Gebäudekomplex errichten lassen, der mit 1.200 m² Baufläche und rund 23 m Höhe im Grenzbereich eines Hochhauses liegt. Über einem – vom Bezirk verschwiegenen – Fastfood-Restaurant und anderen Gewerbeflächen sollen nun statt Büros Wohnungen entstehen. Dabei werden die Baukosten nach Aussagen des Investors deutlich höher liegen als bei dem früher geplan­ten Bürokomplex.

Mit seiner aufwendigen Bauweise und einem nach Süden „verglasten Erschließungshof“ erinnert der nun als „Isebek-Domizil“ vermarktete Koloss an die hochpreisigen Wohnhochhausblöcke auf dem Gelände der ehemaligen Fahrzeugwerke Falkenried. Der Bau eines solchen Wohnklotzes zwischen dem Uferwald am Isebekkanal und der bisher offenen, umgrünten U‑Bahnstation Hoheluftbrücke wäre nicht nur unverein­bar mit den im Bürgerentscheid ausgiebig diskutierten Erfordernissen des Natur- und Denkmalschutzes, er würde auch die Mieten der umgebenden Quartiere weiter in die Höhe treiben und damit zur Verdrängung einkommensschwacher Mieter aus dem Stadtteil („Gentrifizierung“) beitragen.

Hier will ein Investor eine hochwertige städtische Fläche, auf der bisher eine öffentliche Grünanlage geplant war, höchstmöglich bebauen und aus der exquisiten Lage – mit Blick auf Wasser und Grün – eine höchstmögliche Rendite ziehen. Dass der Bezirk nun ver­sucht, dieses Bombengeschäft zu einem quasi gemeinnützigen Unternehmen hochzustili­sieren, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

Die Presse spricht ohne Umschweife von „Aushebelung“ des Bürgerentscheids und „Miss­achtung des Bürgerwillens“. Bereits früher hatte der Bezirk ja versucht, seine Zustimmung zu dem vorangehenden Bürgerbegehren „Hände weg vom Isebek!“ kurz darauf wieder rückgängig zu machen. „Für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!“ hieß deshalb das neue Bürgerbegehren, das dann im Bürgerentscheid vom 1. Juli 2010 eine klare Mehrheit fand.
Eine so eindrucksvolle demokratische Mehrheitsentscheidung des ersten Eimsbüttler Bürgerentscheids auf diese obrigkeitsstaatliche Weise zu liquidieren, ist ein Anschlag auf die Demokratie und wird der politischen Kultur und dem Ansehen des Bezirks Eimsbüttels als demokratischem Gemeinwesen schweren und bleibenden Schaden zufügen.

Sachlage
Am 1. Juli 2010 fand im Bezirk Hamburg-Eimsbüttel ein Bürgerentscheid zu dem von der Isebek-Initiative angeregten Bürgerbegehren „Für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!“ statt. Die allgemeine Hauptforderung des mit einer Abstimmungsmehrheit von rund 70 % angenommenen Bürgerbegehrens lautete:
auf Gehölzrodungen und Bebauungen zwischen dem Isebekkanal und dem U‑Bahnhof Hoheluftbrücke zu verzichten„;
und, daraus abgeleitet, lautete die Forderung für den konkreten Fall:
„dass die Bezirksversammlung deshalb dem vorliegenden Bebauungsplan mit seinem riesigen ‚Hoheluftkontor‘ die Zustimmung endgültig versagt.“

Überschrift und Inhalt des Bürgerentscheids bezogen sich auf ein vorausgegangenes Bür­gerbegehren mit dem Titel „Hände weg vom Isebek!“, das am 13. August 2009 vom Haupt­ausschuss der Bezirksversammlung Eimsbüttel übernommen und so, ohne Bürger­entscheid, beendet wurde. Damit wurde von der Bezirksversammlung auch die Hauptforde­rung des Bürgerbegehrens angenommen:
“ … die Erhaltung und die naturnahe Gestaltung des Grünzuges am Isebek­ka­nal zwischen Weidenstieg und Hoheluftbrücke, seine vollständige Bewahrung vor strukturverändernden Abholzungen, vor Bebauung, Versiegelung und anderen beeinträchtigenden Nutzungen, seine Erweiterung auf den Bereich zwischen U‑Bahnhof Hoheluftbrücke und Isebekkanal, seine Ausweisung als Öffentliche Grün- und Erholungsanlage unter dem Namen ISEBEK-PARK …“.
Die Bezirksversammlung stimmte auch der daraus abgeleiteten Forderung für den konkreten Fall zu:
„die entsprechende Änderung des Bebauungsplans Hoheluft-West 13 / Harveste­hude 12“. (Hervorhebungen von uns)
Bei der im Fokus stehenden Fläche zwischen Isebekkanal und U-Bahnhof Hoheluftbrücke handelt es sich um die Harvestehuder Flurstücke 2420 und 2421, Kaiser-Friedrich-Ufer 30 (bzw. 28a) und Grindelberg 85. Während das Bezirksamt Eimsbüttel diese Flächen nach Rodung eines ökologisch wertvollen Gehölzbiotops bebauen und mit einer großen Tief­garage unterkellern wollte, entschieden die Eimsbüttler Bürger im Bürgerentscheid am 1. Juli 2010, „auf Gehölzrodungen und Bebauungen zwischen dem Isebekkanal und dem U‑Bahnhof Hoheluftbrücke zu verzichten“. Sie verfügten bei ihrer Entscheidung über eine ausführliche Begründung der Isebek-Initiative zu den Forderungen des abzustimmenden Bürgerbegehrens, die allen Abstimmungsberechtigten zugesandt worden war.

Im Vordergrund der Argumentation stand:
die Bedeutung des als grüne Lunge schutzwürdigen Grünzuges am Isebek­kanal für das Stadtklima und die Naherholung der Bürger in dem bereits hoch­verdichteten, luftschadstoffbelasteten und mit Grünflächen unterversorgten Eimsbüttler Kerngebiet;
der ökologische Wert der Gehölzbestände vor dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke als Durchgangskorridor im grünen Biotopverbund zwischen Isebek-Grünzug und den südlich anschließenden Grünzonen;
der städtebaulich gebotene Umgebungsschutz für die eindrucksvollen, turm­arti­gen Abschlussbauten der denkmalgeschützten Klinkerbebauung am U‑Bahnhof Hoheluftbrücke, als Teil des kulturhistorischen Erbes aus der Zeit des „Neuen Bauens“ der Weimarer Zeit in einer für Hamburg einmaligen Kom­position;
der Erhalt eines offenen, „grünen“, menschenfreundlichen U-Bahnhofs Hohe­luftbrücke.

Spätestens seit dem Bürgerentscheid vom 1. Juli 2010, der nach § 32 Absatz 11 BezVG „die Wirkung eines Beschlus­ses der Bezirksversammlung“ besaß, hatte das Bezirksamt Eims­büttel gemäß § 22 Absatz 1 BezVG den gesetzlichen Auftrag, die Handlungsanwei­sungen der beiden Bürgerbegehren planerisch und tatsächlich umzusetzen. Dazu gehört auch die Entsiegelung und Begrünung (Renaturie­rung) der derzeit noch asphaltierten Fläche vor dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke sowie die Ausweisung des Gesamtareals als Öffentliche Grün- und Erholungsanlage gemäß gelten­dem Baustufenplan Harvestehude Rotherbaum.

Das besondere Schutzinteresse des Bürgerentscheids galt dem naturnahen Gehölzbiotop vor dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke als Teil des örtlichen Biotopverbunds. Er besteht in der Haupt­sache aus einem alten, weitgehend naturbelassenen Imkergarten (Flurstück 2421, ca. 650 m²) sowie einem mit Erde überdeckten und dicht mit Sträuchern, Bäumchen und Rankenwerk über­wucherten, ehemaligen Röhrenbunker, der landschaftlich als leicht erhöhtes Urwäldchen wahrge­nommen wurde, – im Frühling und Sommer voller Blüten und Vogelgesang. Auch für die ört­liche Federmauspopulation spielt der naturnahe Gehölzbio­top vor dem U-Bahnhof Hohe­luftbrücke eine wichtige Rolle.

Unter der Regie und persönlicher Beteiligung des Bezirksamtsleiters Dr. Torsten Sevecke kam es dann seit November 2010 zu Ausholzungen in und an dem oben beschriebenen Imkergarten. So schnitt der Bezirksamtsleiter, der bereits beim zurückliegenden Bürger­entscheid sein Partikularinteresse als benachbarter Kleingärtner störend geltend gemacht hatte, eigenhändig eine üppige, berankte Hecke von außen bis auf den grundstücks­begrenzenden Drahtzaun weg, mit der Folge einer deutlichen optischen und ökologischen Abwertung des Gartenrandbereichs. Weitere Ausholzungen folgten im Inneren des Gartens.

Am 21. und 25. Februar 2011 kam es zu einem weiteren, massiven Verstoß gegen das Gebot des Bürgerentscheids, „auf Gehölzrodungen … zwischen Isebekkanal und U‑Bahnhof Hoheluftbrücke zu verzichten“: Das kleine Urwäldchen auf dem alten Röhren­bunker wurde fast flächendeckend abgeholzt, mit einschneidenden Folgen für das land­schaftliche Erscheinungsbild und den ökologischen Wert dieses für den Bürgerentscheid zentralen, als schutzwürdig erachteten Biotops.

Ein an Bezirksamt, Finanzbehörde und andere Stellen gerichteter Einspruch der Isebek-Initiative und der Vertrauensleute des Bürgerbegehrens gegen die Verwüstung der Vege­tation vor dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke wurde vom Bezirksamtsleiter abschlägig beschieden. Dieser äußerte sich kurz darauf in der Presse, die Abholzungen seien auf­grund einer „bezirklichen Aufforderung zur Herstellung der Verkehrspflichten“ zustande gekommen. Eine absurde Begründung, da der Bunker vollständig umzäunt und „verkehrs­frei“ ist.
Von der Isebek-Initiative und den Vertrauensleuten wurden diese Vorgänge als demonstra­tive Missachtung des Bürgerentscheids „Für die Respektierung des Bürgerwillens in Eims­büttel!“ angesehen. Sie stellten daher am 25. Februar 2011 Antrag auf Akteneinsicht nach dem Hamburgischen Informationsfreiheitsgesetz, um zu erfahren, was das Bezirksamt bis­her zur Umsetzung der Bürgerbegehren „Hände weg vom Isebek!“ und „Für die Respektie­rung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!“ getan hat und welchen Hintergrund die Rodungen in dem Gehölzbiotop vor dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke hatten. Die Akteneinsicht hätte von Gesetzes wegen innerhalb eines Monats, also bis zum 25. März 2011, gewährt werden müssen. Die Antwort des Bezirksamtes lag jedoch am 20. April 2011 noch nicht vor.

Seit diesem Tag erschienen Medienberichte, nach denen der Bezirk Eimsbüttel den „Bürgerwillen missachten“ und den „Bürgerentscheid aushebeln“ wolle, indem er beabsich­tige, anstelle des zuvor geplanten „Hoheluftkontors“ den Bau eines mindestens gleich großen Gebäudekomplexes mit Wohn- und Ladennutzung zwischen Isebekkanal und U-Bahnhof Hoheluftbrücke zu genehmigen.

In den Unterlagen zu der Sit­zung der Bezirksversammlung am 28.4.2011 fand sich dann unter Tagesordnungspunkt 4.4 eine Mit­teilung des Bezirksamtes über einen „Vorbe­scheidsantrag Kaiser-Friedrich-Ufer 30“. Danach liegt dem Bezirksamt seit dem 14.2.2011 ein „geänderter Vorbescheidsantrag“ vor zur Bebauung des – nach dem Bürgerentscheid von Bebauung freizuhaltenden – Grundstücks zwischen Kaiser-Friedrich-Ufer und U-Bahnhof Hoheluftbrücke. Geplant sei die „Errichtung eines 5-geschossigen Wohngebäudes mit zwei Staffelgeschossen, 50 Wohneinheiten und Läden im Erdgeschoss“. Mit seinen insgesamt 7 Geschossen und 1.200 m² Baufläche wäre der neue, nun „Isebek-Domizil“ genannte „Koloss“ ebenso überdimensioniert wie das „Hoheluft-Contor“ zuvor. Nach der Mitteilung der Verwaltung sollte der Vorbescheidsantrag schon eine Woche nach der Bezirksversammlungssitzung, also am 5.5.2011, der Bau­kommission des Bezirksamtes zur Genehmigung vorgelegt werden.

In der Mitteilung des Bezirksamtes fehlte jeder Hinweis auf den Bürgerentscheid „Für die Respektierung des Bür­gerwillens in Eimsbüttel!“ vom 1. Juli 2010, in dem sich die Eims­büttler mit einer Abstim­mungsmehrheit von mehr als Zweidritteln gegen eine Bebauung zwischen Isebekkanal und U‑Bahnhof Hoheluftbrücke entschieden hatten. Warum nun trotz dieser eindeutigen Entscheidung eine Bebauung dieser Fläche möglich und sinnvoll sein soll, wurde nicht mitgeteilt.

Ebenfalls unerklärt blieb in der Mitteilung des Bezirksamtes, wie denn eine Wohnbebau­ung unmittelbar vor dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke nun möglich sein soll, wo eine solche Wohnbebau­ung noch in der Begründung zum Bebauungsplanentwurf Hoheluft-West 13 / Harvestehude 12 vom 6.10.2009 ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Dort heißt es auf Seite 22:
„Im Kerngebiet am Kaiser-Friedrich-Ufer sind Wohnungen unzulässig (vgl. § 2 Nr. 4 [der Verordnung zum Bebauungsplanentwurf]).
Um die Standortpotenziale für kerngebietstypische Nutzungen ausschöpfen zu kön­nen, wird hier jegliche Wohnnutzung ausgeschlossen. Als Wohnstandort ist der Bereich nicht geeignet, weil er aufgrund der unmittelbaren Nähe zur U‑Bahnhaltestelle und zur Hauptverkehrsstraße starken Immissionen ausgesetzt ist.“
Wie inzwischen durch Akteneinsicht ermitteln werden konnte, wurde eine erste Fassung des nun erst durch Presseveröffentlichungen bekannt gewordenen Bauvorbescheidsantra­ges bereits vor einem halben Jahr, am 25. Oktober 2010, einge­reicht, nicht aber erst am 14.2.2011, wie die Mitteilung des Bezirksamtes an die Bezirksversammlung am 28.4.2011 zunächst glauben macht. Aufschlussreich ist, dass die ursprünglich vom Investor einge­planten Rechtsanwalts- und Arztpraxen des Großgebäudes auf Drängen des Bezirks nun im geänderten Vorbescheidsantrag durch Wohnungen ersetzt wurden, von denen das Bezirksamt behauptet, sie seien „größtenteils als Alten- oder Studentenwohnungen vorge­sehen“. Es muss sich schon um begüterte Mieter handeln, denn laut Investor „werden die Kosten um 150 bis 200 Euro pro Quadratmeter höher sein“ als bei dem zuvor geplanten Bürobau. Verschwiegen wird auch, dass sich im Erdgeschoss des Isebek-Koloss erneut ein großes McDonald’s-Fastfood-Restaurant befinden wird.
Die seit mindestens einem halben Jahr laufenden Aktivitäten des Investors und des Bezirksamtes zur „Aushebelung“ des ersten Eimsbütteler Bürgerentscheids wurden den Vertrauensleuten des Bürgerbegehrens vorenthalten. Die Systematik dieses quasi konspi­rativen Vorgehens wird noch deutlicher an der Hinauszögerung der am 25.2.2011 bean­tragten Akteneinsicht, die bis zum 25.3.2011 hätte gewährt werden müssen, dann aber erst nach Mahnungen, mit 38-tägiger Verspätung und in teilweise restriktiver Weise, ermöglicht wurde, – unmittelbar vor der in der Sache entscheidenden Sitzung der Baukommission, und damit zu spät, um noch qualifizierte Einwände geltend machen zu können.
Die Vertrauensleute sollten offenbar überrumpelt werden. Da das Ergebnis des Bürger­entscheids weder vom Bezirksamt gemäß § 22 Absatz 2 BezVG noch vom Senat ange­fochten worden war, durften die Vertrauensleute nach rechtsstaatlichen Maßstäben davon ausgehen, dass die demokratisch und gesetzmäßig zustande gekommene Entscheidung der Eimsbüttler Bürger von der Bezirks­verwaltung respektiert und gemäß § 22 Absatz 1 BezVG umgesetzt werden würde. Noch zu Beginn seiner Amtszeit hatte Bezirksamtsleiter Sevecke erklärt, er wolle „Verfahren transparenter machen und die ‚Bürger noch besser beteiligen‘. Das gelte besonders für die Bereiche Bauleitplanung und Baugenehmigungs­praxis.“ Nach dem nun überfallartigen Vorgehen der Bezirksamtsleitung, unter gezielter Nichtinformation und Umgehung der ehemaligen Vertrauensleute des Bürgerbegehrens „Für die Respektierung des Bürger­willens in Eimsbüttel!“ ist, erweisen sich die zitierten Sprüche als irreführendes Blendwerk.

Zur Repräsentativität demokratischer Abstimmungen
Von interessierter Seite wird gelegentlich die Abstimmungsbeteiligung von 23,34 % als Argument dafür verwendet, die Legitimität des Bürgerentscheids vom 1. Juli 2010 in Frage zu stellen. Die Repräsentativität des Bürgerentscheids steht indes außer Zweifel:
Geht man etwa von einem Abstimmungsquorum von 40 % der Wahlberechtigten des Bezirks aus – eine der Zahlen, die der CDU-Politiker Ulrich Karpen vorschlug und die noch über der Wahlbeteiligung von 34,7 % bei den Europawahlen 2009 in Hamburg liegt – , so ergibt eine einfache Dreisatzrechnung Folgendes:
Die Bezirksversammlung Eimsbüttel würde bei einer Abstimmungsbeteiligung von 40 % erst dann eine Mehrheit von einer Stimme erhalten, wenn neben den bisher 45.183 Teil­nehmern am Bürgerentscheid, von denen rund 70 % für das Bürgerbegehren und rund 30 % für die Vorlage der Bezirksversammlung stimmten, weitere 33.243 Wahlberechtigte am Bürgerentscheid teilnehmen würden, die dann aber mit nur 26 % für das Bürgerbegeh­ren und mit 74 % für die Vorlage der Bezirksversammlung stimmen müssten. Das eindeu­tige Abstimmungsergebnis vom 1. Juli müsste sich also mehr als umkehren. Eine derartige Annahme ist aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch. Es gibt mithin unzweifelhaft eine klare Mehrheitsentscheidung der Eimsbüttler gegen Gehölzrodungen und Bebauungen zwischen dem Isebekkanal und dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke.

Und wenn schon von Quoren geredet wird: Die Wahlbeteiligung bei der letzten Hamburger Bürgerschaftswahl lag bei 57,7 %, und bei der letzten Europawahl 2009 in Hamburg bei 34,7 %. Wie weit darf die Wahlbeteiligung absinken, damit diese Wahlergebnisse noch als repräsentativ und als gültig angesehen werden können?
Ein repräsentative Demokratie, die vor allem wegen der zunehmenden Unglaubwürdigkeit der Politiker und der daraus resultierenden Wahlenthaltung auf immer schwächeren Füßen steht, täte gut daran, bei der – im vorliegenden Fall normalen – Wahlbeteiligung von Bürgerbegehren nicht schärfere Maßstäbe anzulegen als bei sich selbst.

Instrumentalisierung des Wohnungsbaus gegen Naturschutz und direkte Demokratie
Wenn Politiker sich gegen die zunehmende Kritik aus der Bevölkerung zur Wehr setzen -dass es in Hamburg zu wenig bezahlbaren Wohnraum und zu viele Leerstände gibt; allein 1.200.000 m² Gewerbefläche sind nicht vermietet -, dann leugnen sie gern diese Miss­stände. Unter der Überschrift: „Wohnungsbaukoordinator: Hamburg hat keine Wohnungs­not“ fasste etwa das Hamburger Abendblatt am 2.11.2011 entsprechende Auslassungen des vom CDU/GAL-Senat eingesetzten „Wohnungsbaukoordinators“ Michael Sachs (SPD) zusammen. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt erklärte auch Jutta Blankau (SPD), „Ham­burgs neue Bausenatorin: ‚Es gibt keine Wohnungsnot'“, – so die Hamburger Morgenpost vom 31.3.2011. Und ebenda am 14.4.2011 hieß es: „Bausenatorin bleibt dabei: Wir haben keine Wohnungsnot“.

Ganz anders reden viele dieser Politiker über das gleiche Thema, wenn es darum geht, obrigkeitsstaatlich organisiertes Verwaltungshandeln gegen – aus ihrer Sicht störende – Einwände des Naturschutzes und gegen eigenständige Bürgerinitiativen durchzusetzen. „Naturschutz blockiert Hamburgs Wohnungsbau“ oder „Wohnungsbau auch gegen Bürgerwillen“ lauten dann die Überschriften der Medienkampagnen, die von interessierten Politikern, wie den Sozialdemokraten Sachs, Sevecke und Grote, initiiert und mit einseiti­ger Information gespeist werden.

Viele der Angaben in diesen Kampagnenartikeln erweisen sich schon bei einer ersten Überprüfung als falsch. So enthielt die Artikelserie „Wohnungsbau auch gegen Bürger­willen“ im „Hamburger Abendblatt“ am 22.3.2011 eine Karte der 76 größeren Wohnungs­bauvorhaben in Hamburg: nur drei von ihnen wurden durch Bürgerbegehren angefochten. Wertet man die Karte nach den darin enthaltenen Wohneinheiten weiter aus, so ergibt sich: von den zur Diskussion stehenden 21.114 Wohnungen sind nur 351 – also lediglich 1,66 % – von Bürgerbegehren betroffen. Die Karte widerlegte also unmittelbar die Kernaussage der Kampagneartikel: dass nämlich der Wohnungsbau in erheblichem Maße von Bürger­begehren behindert sei.

Im Gegensatz zu den oben zitierten Politikeraussagen, wonach es keine Wohnungsnot in Hamburg gibt, wird in den Kampagneartikeln eine Art Wohnungsnotstand suggeriert, der alle Mittel heiligt, insbesondere die Bekämpfung des Naturschutzes und der Bürgerbegeh­ren in Hamburg. Damit sollen auch die Kritiker bei den Naturschutzverbänden, dem Zukunftsrat und bei vielen Bürgerinitiativen mundtot gemacht werden, die schon seit Jah­ren auf den in Deutschland einmalig hohen und schädlichen Grün- und Freiflächen­verbrauch in Hamburg hinweisen und ein Umdenken in der Stadtentwicklungspolitik fordern.

Einer der Haupt-Mitverantwortlichen für den immensen Flächenverbrauch des letzten Jahr­zehnts in Hamburg ist Dr. Torsten Sevecke (SPD), vor seinem Wechsel in das Bezirksamt Eimsbüttel „Koordinator für Flächenentwicklung“ der BSU, mit besonderer Anbindung an das Immobilienmanagement der CDU-geführten Finanzbehörde. Eine Art Nachfolger Seveckes wurde im Frühjahr 2010 Michael Sachs (ebenfalls SPD). Es war ein geschickter PR-Schachzug des Senats, den Flächenbeschaffer nun „Wohnungsbaukoordi­nator“ zu nennen. Und dieser erklärte denn auch in einer ersten Pressemitteilung am 7.4.2010, er freue sich sehr, das „große Potential an Flächen für den Wohnungsbau“ „zusammen mit der Wohnungswirtschaft, den Bezirken und den Anliegern schneller für den Wohnungsbau nutzbar zu machen“.

Sachs trat seit Beginn seiner Amtszeit immer wieder in allen möglichen Veranstaltungen auf – oft zusammen mit seinem „Vorgänger“ Sevecke – und machte gezielt Stimmung gegen Bürgerbegehren, die sich aus Gründen des Naturschutzes gegen die Bebauung ökologisch wertvoller Grünflächen und Waldgebiete in Hamburg einsetzen. Bei der „Vor­stellung des Wohnungsbaukoordinators im Stadtplanungsausschuss“ der Bezirksver­sammlung Eimsbüttel am 28. September 2010 erklärte Sachs, dass er beabsichtige, meh­rere anhängige Bürgerbegehren in Hamburg vom Senat evozieren zu lassen, um damit endlich einen Erfolg bei der Flächenbeschaffung vorweisen zu können.

Mit Hilfe des oben erwähnten Kampagnenjournalismus, in dem die Fehlinformation ver­breitet wird, Naturschutz und Bürgerbegehren, nicht aber die den sozialen Wohnungsbau vernachlässigende Wohnungspolitik des Senats sei für den Mangel an preiswertem Wohn­raum in Hamburg verantwortlich, haben Sachs & Co. den Wohnungsbau zu einem „Tot­schlagargument“ aufgebaut, mit dem jede Kritik an einer unvernünftigen Zubetonierung ökologisch und städtebaulich wertvoller Freiflächen im Keim erstickt werden soll. Während einerseits geleugnet wird, das eine Wohnungsnot in Hamburg besteht, wird an anderer Stelle behauptet, der Wohnungsbau sei eine Sache des „öffentlichen Interesses“, die keine Widerworte zulasse.

Es ist offensichtlich: der Wohnungsbau wird instrumentalisiert, um Argumente der städteplanerischen Vernunft wie Natur- und Denkmalschutz sowie Bürgerinitiativen, die diese Prinzipien einer am Gemeinwohl orientierten Politik vertreten, zu bekämpfen.

Im Räderwerk
Nachdem die Öffentlichkeit am 20.4.2011 erstmals durch den Bericht eines lokalen Anzei­genblatts von dem Vorbescheidsantrag auf Bau eines Großgebäudes am Isebekkanal erfahren hatte, war am 21.4.2011 unter der Überschrift „Eimsbüttel hebelt Bürgerentscheid aus“ zu lesen, Bezirksamtsleiter Sevecke habe den Initiatoren des Bürgerentscheids „ein Gespräch über die Planungen angeboten“. Gegenüber den ehemaligen Vertrauensleuten des im Bürgerentscheid abgestimmten Bürgerbegehrens „Für die Respektierung des Bür­gerwillens in Eimsbüttel!“ erklärte Sevecke, man könne ohne Zeitdruck miteinander reden und er gebe „sein Wort“, dass es eine überfallartige Genehmigung des Vorbescheids­antrags nicht geben werde.

Doch schon am gleichen Tag, am 21.4.2011, wurde eine „Mitteilung des Bezirksamtes“ zu Tagesordnungspunkt 4.4 der Sitzung der Bezirksversammlung am 28.4.2011 mit der Über­schrift „Vorbescheidsantrag Kaiser-Friedrich-Ufer 30“ verfasst, die mit dem Satz schließt: „Am 05.05. wird der Vorgang der BauKo [Baukoordinierungskommission des Bezirksamtes Eimsbüttel] zur Entscheidung vorgelegt.“ Die ehemaligen Vertrauensleuten des Bürger­begehrens erfuhren von dieser Mitteilung erst am 28.4.2010 in der Sitzung der Bezirksver­sammlung. Doch erst am 3.5.2011, zwei Tage vor der geplanten Genehmigung des Vorbe­scheidsantrages, wollte ihnen das Bezirksamt Akteneinsicht in der Sache gewähren.

Die Vertrauensleute riefen daher am 3.5.2011 in einem Eilantrag das Verwaltungsgericht an, um vor einer Entscheidung über den Vorbescheidsantrag klären zu lassen, inwieweit der geplante Bau eines Großgebäudes am Kaiser-Friedrich-Ufer 30 mit dem Bürgerent­scheid vom 1.7.2010 vereinbar ist, wonach dort „auf Gehölzrodungen und Bebauungen zwischen dem Isebekkanal und dem U-Bahnhof Hoheluftbrücke zu verzichten“ ist.
Auf einen erwidernden Schriftsatz des Bezirksamtes Eimsbüttel vom 9.5.2011, 14.18 Uhr, der dem Anwalt der Vertrauensleute erst am 10.5.2011, 13.24 Uhr, per Fax zur „umgehen­den Stellungnahme übersandt“ wurde, antworteten die Vertrauensleute mit einer eigenen Entgegnung, die sie am 11.5.2011 gegen 12.45 Uhr in der Geschäftsstelle der Kammer 4 des Verwaltungsgerichts abgaben.

Schon kurz darauf, um 14.59 Uhr, verbreiteten die Pressestellen der Finanzbehörde und des Bezirksamtes Eimsbüttel über die Pressestelle des Senats eine „Einladung/Hinweis an die Medien“ unter der Überschrift „Senator Dr. Peter Tschentscher besucht Bezirk Eims­büttel“. Darin wurde unter anderem mitgeteilt, Finanzsenator Tschentscher (qua Amt „Eigentümer“ des umstrittenen Grundstücks Kaiser-Friedrich-Ufer 30) wolle gemeinsam mit Bezirksamtsleiter Sevecke im Beisein angemeldeter Medienvertreter am späten Vormittag des darauffolgenden Freitags, dem 13.5.2011, einen „Blick auf die Situation Kaiser-Friedrich-Ufer 30“ werfen. Zuständig für die verbindliche Anmeldung zur Teilnahme am Pressetermin und für nähere Informationen war der Leiter des Eimsbütteler Fachamtes Interner Service, Stephan Glunz.

Die Vertrauensleute erfuhren erst einen Tag nach der Gerichtsentscheidung, am 12.5.2011, durch ein um 10.41 Uhr beim Anwalt eingegangenes Fax von der Ablehnung des Eilantrags, – zu spät, um noch beim Oberverwaltungsgericht Widerspruch einlegen zu können. Denn schon 1-2 Stunden später genehmigte die Baukoordinierungskommission des Bezirksamtes Eimsbüttel den Vorbescheidsantrag. Die Genehmigung durch den Bezirksamtsleiter erfolgte gegen 15 Uhr. Der Investor stand schon vor der Tür und konnte um 15.15 Uhr den genehmigten Vorbescheidsantrag in Empfang nehmen.

In diesem minutiös abgestimmten Räderwerk Hamburger Geld- und Machteliten war kein Platz mehr „für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel“.
Die 4. Kammer des Hamburger Verwaltungsgericht hatte sich mit den einzelnen, auf den Vorbescheidsantrag bezogenen Inhalten des Antrags der Vertrauensleute gar nicht befasst, sondern entschied (4 E 1000-11), dass die ehemaligen Vertrauensleute des Bürgerbegehrens „Für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!“ nicht berechtigt seien, vor Gericht Anträge für den Bürgerentscheid vom 1.7.2010 zu stellen, der ihrem Bürgerbegehren eine überwältigen­de Mehrheit gebracht hatte.

Die Stadt als Beute
Das autoritäre Vorgehen des Bezirksamtes und der Finanzbehörde bei der „Erledigung“ des ersten, überaus erfolgreichen Bürgerentscheids im Eimsbüttel ist erst der Anfang einer neuen, obrigkeitsstaatlichen Politik der in Hamburg alleinregierenden und in Eimsbüttel dominanten SPD, die ihre Politik, angeleitet von dem ehemaligen Handelskammer-Präses und jetzigen Wirtschaftssenator Horch, immer mehr an den Zielen der Wirtschaftslobby und immer weniger an den Interessen der Bürger ausrichtet (zur „gehorchten SPD“ vergleiche: http://www.isebek-initiative.de/archives/23-Die-Stadt-als-Beute.html).
Wie die Zeitung „Die Welt“ am 12.5.2011 unter der Überschrift „Das neue Tempo-Baupro­gramm“ berichtete, sollen nun unter der Regie des „Wohnungsbaukoordinators“ Sachs (SPD) Entscheidungen zu Bauvorhaben künftig zügiger und unter dem Druck kürzerer Fristen durchgesetzt, und „Konflikte – etwa in Bezug auf Naturschutz … – besser gebündelt und entschieden werden“. „Auch wenn die Bürger mehr eingebunden werden sollen – Sachs‘ Haltung ist klar: Letztlich müsse die Politik entscheiden.“ Mit anderen Worten: Bürger dürfen zwar noch begehren, aber nicht mehr entscheiden. Laut „Welt“ fand die Wirtschafslobby es denn auch „gut, wenn die Stadt wie ein Unternehmen auftritt und mit einer Stimme spricht“, und forderte frühzeitige Unterstützung „etwa bei drohenden Bürger­begehren“.

Der Abbau der Demokratie in Hamburg ist also in vollem Gange. Die Hamburger SPD hat Übung in der rücksichtslosen Machtausübung auf Kosten der Bürger. Lesenswert und von neuer Aktualität ist da ein Buch der Journalisten Jörn Breiholz und Frank Wieding aus dem Jahre 2001: „Das Machtkartell: Die Stadt als Beute. Eine Bilanz nach mehr als 40 Jahren SPD-Regierung in Hamburg“
(http://www.isebek-initiative.de/uploads/dokumente/background/Breiholz_Wieding_2001_Machtkartell_Inhalt.pdf).

„Weniger Demokratie wagen“, so könnte man die neue Hamburger SPD-Politik in Umkeh­rung einer Forderung Willy Brands überschreiben. Bürgerliches Engagement und offener Widerstand sind da gefragter denn je. Denn dies ist „eine der wesentlichen und unverzicht­baren Eigenschaften, die den Menschen ausmachen: die Fähigkeit zur Empörung und das Engagement, das daraus erwächst“ (Stéphane Hessel).

Ein Gedanke zu „Was ist ein Bürgerentscheid in Hamburg wert?“

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