Der Blaumilchkanal* – von Leitbildern und Leuchtürmen oder: Besinnungslose Stadtplanung
„Wir müssen mit unserer Lage am Wasser auftrumpfen, damit sich die Menschen sich hier wieder gern aufhalten“, sagte Todeskino (KN 18.09.2012, S. 18) und will das mit einen Kanal zwischen Bootshafen und Kleinem Kiel erreichen. Florian Gosmann vom Stadtplanungsamt verweist darauf, dass die Häuser auf der Meislahn-Seite nach der Vorstudie „bis 11Uhr Sonne bekommen“ und „sich zum Frühstück beim Bäcker anbieten“. Das ist nicht nur eine Argumentation, die jede Intelligenz oberhalb von Schuhgrößen beleidigt, sondern zeigt zudem wie besinnungslos die Kieler Stadtplanung ist.
Die Verantwortlichen in der Stadt folgen „Leitbildern“ aus einem Baukastensystem, das stark von Unternehmensberatungen beeinflusst ist. So hat beispielsweise McKinsey seit 2004 eine ganze Reihe mehr oder weniger gleichlautender Konzepte für lauter höchst originelle nordeuropäische Global Cities im Wartestand verfasst. So finden sich Im aktuellen „Integrierten Stadtentwicklungskonzept Kiel“ (INSEKK) finden wir die Denkvorgaben von PriceWaterhouseCoopers (vgl. Zukunftschance Kreativität).
Zu diesem Leitbild gehört die Marke Kiel, die Unternehmen und Investoren ebenso anziehen soll wie Besserverdiener und Touristen. Die Kasinopolitik wird auf städtischer Ebene fortgesetzt. Mit der „Attraktivierung der Stadt“ wird eine Wette auf die Zukunft gemacht– in der Hoffnung eine „Sogwirkung“ auszulösen und Fachkräfte, für Studierende, Unternehmer, Investoren, Touristen und Besserverdiener nach Kiel zu locken.
Auch der Kiel Kanal, der „neuen Schwung bringt“ ist Ausdruck dieser „Politik. Die Behauptungen, dass die neuen Bauwerke eine vergegenständlichte Zukunft darstellen sind reine Spekulationen. Zwar geben die „Leitbilder“ vor, ein Gestaltungspotential zu definieren. Aber das ist nichts Neues.
Aktuelle Leitbilder wie eine Wasserverbindung zwischen Kleinem Kiel und Bootshafen oder ein neuer Stadtteils auf dem MFG5 Gelände enthalten eine bestimmte Vorstellung lokaler Stadt-Raum-Verhältnisse: „Leuchttürme“ sollen als Bilder für die Zukunft, als Identität der „neuen Stadt“ mit einer magischen Wirkung verknüpft. Sie werden – so wird versucht unterschwellig zu transportieren – mehr oder weniger unwillkürlich, allein durch ihre Strahlkraft, die Lösung der sozialen Probleme (oder wenigstens sind sie im Stande, die Orte, an denen sich Empörung und Wut entwickelt, in den Schatten zu stellen).
Allerdings ist die Gestaltungsmacht, die sich die aktuelle Stadtpolitik in Kiel und anderen Städten zuschreibt, ein Mythos. Die Produkte des Stadtmarketings wie „Sailing City“ oder neuerdings „die wachsende Stadt“ (eine Adaption eines alten Slogans der Stadt Hamburg) stellen eine langweilige Sammlung von Symbolen, Zeichen und Konzeptionen dar, die soziale Realitäten in ihrer Wirkungsmacht und Dynamik außer Acht lassen.
Sie wirken dennoch regulierend und eingreifend, und genauso so wie sie sich herstellen lassen können sie wieder dementiert werden.
Die strategischen Ziele beleuchten zudem das Drama der zentralstaatlich definierten und spätestens durch die Politik der Schröder- Fischer Bundesregierung zur Dauerkrise gemachten Krise des städtischen Haushalts.
Die Leitbilder haben mit früheren modernistischen Beschwörungen gemeinsam, dass sie ein in Pfeifen im Walde sind. Sie gehen davon aus, dass die Stadtökonomie steuerbar ist und die seit Jahrhunderten bekannten Verwerfungen und Unberechenbarkeiten der Wirtschaft werden als nicht existent angesehen. Die Ärzte arbeiten immer noch am Krankenbett und die Therapie wird immer teurer. Ob sie dem Patienten zugute kommt oder ob der Patient überhaupt überleben wird bleibt eine Schicksalsfrage.
Bei den beschworenen Zukunftstechnologien, den beschworenen Investoren, Touristen und Besserverdiener geht es immer um Menschen, die in die Stadt kommen sollen. Die Stadt investiert in die Bewerbung dieser Menschen. Dazu hat sie das richtige Umfeld für die Investoren zu schaffen, die kommunale Haushaltskrise zu lösen usw. Eingesetzt werden dabei all die Mitteln die Teil der aktuellen Dauerkrise sind.
Das die Rechnung nicht aufgeht, weil die Haushaltskrise neben der zentralstaatlichen Steuerpolitik vor allem durch die Entwicklung des Masseneinkommens sowie die lokale Verantwortung für die Massenerwerbslosigkeit ausgelöst wurde, spielt in den Überlegungen auch in Kiel keine Rolle. Es gibt auch keine Überlegungen, ob die erhofften neuen Menschen, die kommen sollen, der Stadtökonomie mehr Ressourcen verschaffen als sie selbst verbrauchen. Immerhin müssten sie dazu die erbrachten Vorleistungen, den Konsum öffentlicher Dienstleistungen und den Gebrauchs der öffentlichen Infrastruktur wieder einbringen.
*Der Blaumilchkanal von Efraim Kishon beschreibt die Geschichte eines Geisteskranken, der aus der Anstalt ausbricht, einen Preßlufthammer entwendet und beginnt eine Straße aufzureißen. Niemand stoppt ihn. Am Ende wird die Wasserrinne als touristische Attraktion ausgegeben und der Oberbürgermeister und der Stadtbaurat feiern sich als “Venedig des Nahen Ostens”.
Quelle: WIR in Kiel