Joseph Freiherr von Eichendorff: Verschneit liegt rings die ganze Welt

Joseph Freiherr von Eichendorff:

Verschneit liegt rings die ganze Welt

Verschneit liegt rings die ganze Welt,
Ich hab nichts, was mich freuet,
Verlassen steht ein Baum im Feld,
Hat längst sein Laub verstreuet.

Der Wind nur geht bei stiller Nacht
und rüttelt an dem Baume,
Da rührt er seine Wipfel sacht
Und redet wie im Traume.

Er träumt von künftger Frühlingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blütenkleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.

Friedrich Nietzsche: Im deutschen November

Friedrich Nietzsche:

Im deutschen November

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Die Sonne schleicht zum Berg
Und steigt und steigt
und ruht bei jedem Schritt.

Was ward die Welt so welk!
Auf müd gespannten Fäden spielt
Der Wind sein Lied.
Die Hoffnung floh
Er klagt ihr nach.

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz.
Fliege fort! fliege fort!
Oh Frucht des Baums,
Du zitterst, fällst?
Welch ein Geheimnis lehrte dich
Die Nacht,
Daß eis’ger Schauder deine Wange,
Die purpur-Wange deckt?

Du schweigst, antwortest nicht?
Wer redet noch?

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz.
Fliege fort! fliege fort!
„Ich bin nicht schön“
– so spricht die Sternenblume
„Doch Menschen lieb‘ ich
Und Menschen tröst‘ ich
sie sollen jetzt noch Blumen sehn,
nach mir sich bücken
ach! und mich brechen –
in ihrem Auge glänzet dann
Erinnerung auf,
Erinnerung an Schöneres als ich:
– ich seh’s, ich seh’s – und sterbe so“.

Dies ist der Herbst: der bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!

Emanuel Geibel: Mittagszauber

Emanuel Geibel:

Mittagszauber

Im Garten wandelt hohe Mittagszeit,
Der Rasen glänzt, die Wipfel schatten breit;
Von oben sieht, getaucht in Sonnenschein
Und leuchtend Blau, der alte Dom herein.

Am Birnbaum sitzt mein Töchterchen im Gras;
Die Märchen liest sie, die als Kind ich las;
Ihr Antlitz glüht; es ziehn durch ihren Sinn
Schneewittchen, Däumling, Schlangenkönigin.

Kein Laut von außen stört; ’s ist Feiertag –
Nur dann und wann vom Turm ein Glockenschlag!
Nur dann und wann der mattgedämpfte Schall
Im hohen Gras von eines Apfels Fall!

Da kommt auf mich ein Dämmern wunderbar,
Gleichwie im Traum verschmilzt, was ist und war;
Die Seele löst sich und verliert sich weit
Ins Märchenreich der eignen Kinderzeit.

Detlev von Liliencron: Der Maibaum

Detlev von Liliencron:

Der Maibaum

Wir liebten uns. Ich saß an deinem Bette
und sah auf deinen todesmatten Mund.
Dein Auge suchte mich an irrer Stätte:
hörst du den Sensenschnitt im Wiesengrund?

Und Pfingsten rings. Die Stadt war ausgeflogen
in hellen Kleidern und im Frühlingshut.
Wir waren um den schönsten Tag betrogen;
o Tag sei gnädig ihrer Fieberglut.

Zu deinem Haupte bog, zu deinen Füßen
bog sich ein grünes Birkenbäumchen vor;
sie sollten dich vom heiligen Leben grüßen,
ein letzter Gruß dir sein am schwarzen Tor.

Ich hatte sie für dich geschnitten,
an einer Stelle, die dir wohlbekannt,
zu der wir ausgelassen oft geschritten,
an der wir oft gesessen Hand in Hand.

An jenem Orte steht eine alte Weide,
vor Neid und Sonne unsre Schützerin;
da ist es still, und überall die Heide,
am Ginster zittert die Libelle hin.

Ein Wasser schwatzt sich selig durchs Gelände,
ein reifer Roggenstrich schließt ab nach Süd;
da stützt Natur die Stirne in die Hände
und ruht sich aus von ihrer Arbeit müd.

Weißt du den Abend noch, wir saßen lange,
ein nahendes Gewitter hielt uns fest
an unserm Weidenbusch, du fragtest bange,
es klang so zag: Und wenn du mich verlässt?

Sieh zu mir auf, beschirmt von Birkenzweigen:
ich war dir treu, wir haben uns geglaubt.
Aus Wüsten zieht, aus Wolken her das Schweigen,
die Sense sirrt, und sterbend sinkt dein Haupt.

Simon Dach: Horto recreamur amoeno

Simon Dach:

Horto recreamur amoeno

Der habe Lust zu Würfeln und zu Karten,
Der zu dem Tanz und der zum kühlen Wein.
Ich liebe nichts, als was in diesem Garten
Mein Drangsalstrost und Krankheitsarzt kann sein.
Ihr grünen Bäume,
Du Blumenzier,
Ihr Haus der Reime,
Ihr zwinget mir
Dies Lied herfür.

Mir mangelt nur mein Spiel, die süße Geige,
Die würdig ist, dass sie mit Macht erschall
Hie, wo das Laub und die begrünten Zweige
Am Graben mich umschatten überall,
Hie, wo von weiten
Die Gegend lacht,
Wo an der Seiten
Der Wiesen Pracht
Mich fröhlich macht.

Was mir gebricht an Geld und großen Schätzen,
Muss mein Gemüt und dessen güldne Ruh
Durch freies Tun und Fröhlichkeit ersetzen,
Die schleußt vor mir das Haus der Sorgen zu.
Ich will es geben
Um keine Welt,
Dass sich mein Leben
Oft ohne Geld
So freudig hält.

Gesetzt, dass ich den Erdenkreis besäße
Und hätte nichts mit guter Lust gemein,
Wann ich der Zeit in Angst und Furcht genösse,
Was würd es mir doch für ein Vorteil sein?
Weg mit dem allen,
Was Unmut bringt!
Mir soll gefallen,
Was lacht und singt
Und Freud erzwingt.

Ihr alten Bäum‘ und ihr noch jungen Pflanzen,
Ringsum verwahrt vor aller Winde Stoß,
Wo um und um sich Freud und Ruh verschanzen,
Senkt alle Lust herab in meinen Schoß.
Ihr sollt imgleichen
Durch dies mein Lied
Auch nicht verbleichen,
Solang man Blüt
Auf Erden sieht.

Marie Ebner-Eschenbach: Sommermorgen

Marie Ebner-Eschenbach

Sommermorgen

Auf Bergeshöhen schneebedeckt,
Auf grünen Hügeln weitgestreckt
Erglänzt die Morgensonne;
Die tauerfrischten Zweige hebt
Der junge Buchenwald und bebt
Und bebt in Daseinswonne.

Es stürzt in ungestümer Lust
Herab aus dunkler Felsenbrust
Der Gießbach mit Getose,
Und blühend Leben weckt sein Hauch
Im stolzen Baum, im niedren Strauch,
In jedem zarten Moose.

Und drüben wo die Wiese liegt,
Im Blütenschmuck, da schwirrt und fliegt
Der Mücken Schwarm und Immen.
Wie sich’s im hohen Grase regt
Und froh geschäftig sich bewegt,
Und summt mit feinen Stimmen.

Es steigt die junge Lerche frei
Empor gleich einem Jubelschrei
Im Wirbel ihrer Lieder.
Im nahen Holz der Kuckuck ruft,
Die Amsel segelt durch die Luft
Auf goldenem Gefieder.

O Welt voll Glanz und Sonnenschein,
O rastlos Werden, holdes Sein,
O höchsten Reichtums Fülle!
Und dennoch, ach – vergänglich nur
Und todgeweiht, und die Natur
Ist Schmerz in Schönheitshülle.