Johann Wilhelm Ludwig Gleim: An den Winter

Johann Wilhelm Ludwig Gleim:

An den Winter

Winter mit dem grauen Barte,
Mit den angefrornen Locken,
Willst du denn nicht einmal lachen?
Sind die Lippen zugefroren?
Komm herein, was stehst du draußen?
Komm herein, du sollst schon tauen.
Sieh! wie störrisch sind die Minen.
Bist du denn ein Feind der Freude?
Willst du meine Lust verdammen?
Gut! so will ich dich nicht bitten.
Aber sei nur immer störrisch,
Mache Felder, mache Fluren,
Mache Berg‘ und Täler traurig,
Mich sollst du nicht traurig machen.
Töte diese frische Lilgen,
Töte diese junge Rosen
Auf den jugendlichen Wangen,
Töte sie einmal zum Scherze;
Aber lass mir nur die Rosen
Auf den Wangen, auf den Busen
Meiner braunen Doris blühend:
Dann so soll sie dich beschämen,
Dann soll sie mit einem Kusse
Meinen halberstorbnen Wangen
Alle Rosen wieder geben;
Dann soll sie mit ihren Lippen
Meine Lippen schöner färben.
Alter! willst du’s selbst versuchen?
Komm! sie soll dich einmal küssen;
Dann sollst du, wir wollen wetten,
Bald dein Pelzwerk von dir werfen.
Dann sollst du vor Hitze dursten.
Komm! hier ist schon was zu trinken.

Franz Grillparzer: Dezemberlied

Franz Grillparzer:

Dezemberlied

Harter Winter, streng und rauch,
Winter, sei willkommen!
Nimmst du viel, so gibst du auch,
Das heißt nichts genommen!

Zwar am Äußern übst du Raub,
Zier scheint dir geringe,
Eis dein Schmuck, und fallend Laub
Deine Schmetterlinge,

Rabe deine Nachtigall,
Schnee dein Blütenstäuben,
Deine Blumen, traurig all
Auf gefrornen Scheiben.

Doch der Raub der Formenwelt
Kleidet das Gemüte,
Wenn die äußere zerfällt,
Treibt das Innere Blüte.

Die Gedanken, die der Mai
Locket in die Weite,
Flattern heimwärts kältescheu
Zu der Feuerseite.

Sammlung, jene Götterbraut,
Mutter alles Großen,
Steigt herab auf deinen Laut,
Segenübergossen.

Und der Busen fühlt ihr Wehn,
Hebt sich ihr entgegen,
Lässt in Keim und Knospen sehn,
Was sonst wüst gelegen.

Wer denn heißt dich Würger nur?
Du flichst Lebenskränze,
Und die Winter der Natur
Sind der Geister Lenze!

Charlotte von Ahlefeld: Im Herbst

Charlotte von Ahlefeld

Im Herbst

Wie mit Flor bezogen ist der Himmel,
Graue Nebel sinken feucht und schwer,
Und der Raben hungriges Gewimmel
Zieht auf Stoppelfeldern hin und her.

Blätter rauschen auf den öden Wegen,
Die ich froh und glücklich einst betrat;
Rauhe Lüfte hauchen mir entgegen,
Und durchschaueren die Wintersaat.

Ringsumher ist jede Spur verschwunden
Von des Sommers Lieblichkeit und Lust.
Nur in tiefen, unheilbaren Wunden
Regt sich noch sein Bild in meiner Brust.

Nur die Hoffnung hebt durch frische Farben
Die verblichne, freudenleere Welt;
Sammelt auch auf öden Fluren Garben,
Die sie in der Zukunft Felder stellt.

Und der Schwermut schauerliche Nächte
Hellt uns oft ihr goldner Himmelsschein;
Freundlich führt uns ihre milde Rechte
In das Reich der Fantasieen ein.

Tön‘ auch mir mit Deinem Schmeichelworte,
Hoffnung, Frieden in das bange Herz;
Kränze windend um der Zukunft Pforte,
Deute Du der Sehnsucht ihren Schmerz.

Und wenn einst der Sommer wiederkehret,
Lass in seinem frischbelebten Grün
Jede Freude, die mein Herz entbehret,
Mir im Glück des Wiedersehens blühn.

Marie Ebner-Eschenbach: Sommermorgen

Marie Ebner-Eschenbach

Sommermorgen

Auf Bergeshöhen schneebedeckt,
Auf grünen Hügeln weitgestreckt
Erglänzt die Morgensonne;
Die tauerfrischten Zweige hebt
Der junge Buchenwald und bebt
Und bebt in Daseinswonne.

Es stürzt in ungestümer Lust
Herab aus dunkler Felsenbrust
Der Gießbach mit Getose,
Und blühend Leben weckt sein Hauch
Im stolzen Baum, im niedren Strauch,
In jedem zarten Moose.

Und drüben wo die Wiese liegt,
Im Blütenschmuck, da schwirrt und fliegt
Der Mücken Schwarm und Immen.
Wie sich’s im hohen Grase regt
Und froh geschäftig sich bewegt,
Und summt mit feinen Stimmen.

Es steigt die junge Lerche frei
Empor gleich einem Jubelschrei
Im Wirbel ihrer Lieder.
Im nahen Holz der Kuckuck ruft,
Die Amsel segelt durch die Luft
Auf goldenem Gefieder.

O Welt voll Glanz und Sonnenschein,
O rastlos Werden, holdes Sein,
O höchsten Reichtums Fülle!
Und dennoch, ach – vergänglich nur
Und todgeweiht, und die Natur
Ist Schmerz in Schönheitshülle.

Ada Christen: Nach dem Regen

Ada Christen:

Nach dem Regen

Die Vögel zwitschern, die Mücken
Sie tanzen im Sonnenschein,
Tiefgrüne feuchte Reben
Gucken ins Fenster herein.

Die Tauben girren und kosen
Dort auf dem niedern Dach,
Im Garten jagen spielend
Die Buben den Mädeln nach.

Es knistert in den Büschen,
Es zieht durch die helle Luft
Das Klingen fallender Tropfen,
Der Sommerregenduft.

Hermann von Lingg: Frühlingsmorgen

Hermann von Lingg:

Frühlingsmorgen

Tief im Winter hör‘ ich’s gerne,
Eh‘ die Sonn‘ hervorgewallt,
Wie durchs Dunkel aus der Ferne
Eine Morgenglocke schallt.

Im August, wenn Donner rollen,
Freut mich’s wie die Windfahn‘ ächzt,
Und im Herbst, wenn auf den Schollen
Abends spät ein Rabe krächzt.

Doch was kann mein Herz erweitern
Wie der erste Finkenschlag,
Wie der Lerche Lied am heitern,
Wundervollen Frühlingstag?

Barthold Hinrich Brockes: Kirschblüte bei der Nacht

Ich sahe mit betrachtendem Gemüte
jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte,
in kühler Nacht beim Mondenschein;
ich glaubt, es könne nichts von größerer Weiße sein.
Es schien, als wär ein Schnee gefallen;
ein jeder, auch der kleinste Ast,
trug gleichsam eine rechte Last
von zierlich weißen runden Ballen.
Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt,
– indem daselbst des Mondes sanftes Licht
selbst durch die zarten Blätter bricht –
sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat.
Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden
was Weißres aufgefunden werden.
Indem ich nun bald hin, bald her
im Schatten dieses Baumes gehe,
sah ich von ungefähr
durch alle Blumen in die Höhe
und ward noch einen weißern Schein,
der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar,
fast halb darob erstaunt, gewahr.
Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein
bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht
von einem hellen Stern ein weißes Licht,
das mir recht in die Seele strahlte.
Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergötze,
dacht ich, hat er dennoch weit größre Schätze.
Die größte Schönheit dieser Erden
kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.