Gottlieb Konrad Pfeffel: Die gelbe Rose

Gib mir, o Mutter, also bat
Einst Floren eine kaum dem Schoße
Des Nichts entstiegne weiße Rose,
Gib mir der Schwester Incarnat.
Begnüge, Kind, dich mit der Gabe,
Die ich dir eingebunden habe.
Der Unschuld Farbe schmückt dich ja,
Sprach Flora sanft. Doch wer bekehret
Ein Herz, das Eifersucht betöret?
Sie murrt, sie schmollt. Als Flora sah,
Daß sie die Mutterhuld mißbrauchte:
Nun wohl! rief sie erzürnt und hauchte
Sie an: So nimm, an Statt des Kleids
Der Unschuld, das zu deinem Lose,
Was dir gebührt – die Tracht des Neids.
Und so entstand die gelbe Rose.

(1803)

Novalis: Zur Weinlese

5. Oktober 1799

Wir haben Weinmond, lieben Leute,
Und weil nicht immer Weinmond ist;
So sag ichs euch in Versen heute,
Damit es keiner nicht vergißt. –
Wenn Weinmond ist, so müßt ihr wissen,
Da gibt es Trauben, Most und Wein,
Und weil die armen Beeren müssen,
So sprützen sie ins Faß hinein.

Es gibt gar unterschiedne Beeren,
Von allen Farben trifft man sie,
Und manche hält man hoch in Ehren,
Und manche wirft man vor das Vieh.
Sie sind im Temprament verschieden
Und von gar mancherlei Statur;
Doch allen ist der Wein beschieden
Als Lieblingskindern der Natur.

Zu einem Stock will ich euch führen,
Das ist ein Stöckchen wie ein Taus,
Um seine Süßigkeit zu spüren
Sucht eine Traube euch heraus.
Ich lobe mir die braven Wenden,
Sie langen zu, und sind nicht faul,
Sie stecken gern mit beiden Händen
Die blauen Trauben in das Maul.

Nicht wahr, das schmeckt nicht herb und sauer?
Was gut schmeckt, weiß der Wende wohl,
Er ißt und geht gern auf die Dauer,
Und nimmt die beiden Backen voll.
Drum kann er auch nicht Worte machen,
Er steht voll Eifer da und kaut,
Doch sieht man ihn so schämig lachen
Als kaut er still an einer Braut.

Daß er den Trank anjetzt im ganzen
Verkauft, dafür kann ich euch stehn.
Oft wird er um den Stock noch tanzen
Und sich mit seinem Träubchen drehn.
Wer weiß ob er nicht aus dem Kerne
Ein neues Mutterstöckchen zieht,
Was viele Jahre in der Ferne
Zum Ruhm des alten Stockes blüht.

Der alte Stock wird blühn und wachsen,
Wenn man den Überfluß ihm nimmt
Und überall im Lande Sachsen
Sein Wein auf guten Tischen schwimmt.
Er hat noch manche reife Traube
Von andrer Art und ihm zur Last;
Es bitten Geier oder Taube
Vielleicht sich bald bei ihm zu Gast.

Daß er noch lange blüht, das weiß ich,
Obwohl er manches Jahr schon steht;
Denn dafür, lieben Leute, heiß ich
Ein Dichter oder ein Poet.
Ihr denkt wohl gar ich sei ein Träubchen,
Weil mich der Stock fest an sich schnürt?
Ich bins zufrieden, wenn ein Weibchen,
Ob ich gut schmecke, sacht probiert.

Drum weil nicht Weinmond alle Tage,
Kein solcher Stock nicht überall,
So denkt nicht heut an eure Plage,
Zieht eure Sorgen in den Stall.
Laßt unsern alten Weinstock leben!
Und seinen lieben Winzer da!
Und einen Kuß soll man ihm geben
Als Kandidat zur Großmama.

Joseph Freiherr von Eichendorff: Im Herbst

Der Wald wird falb, die Blätter fallen,
wie öd und still der Raum!
Die Bächlein nur gehen durch die Buchenhallen
lind rauchend wie im Traum,
und Abendglocken schallen
fern von des Waldes Saum.

Was wollt ihr mich so wild verlocken
in dieser Einsamkeit?
Wie in der Heimat klingen diese Glocken
aus stiller Kinderzeit –
ich wende mich erschrocken,
ach, was mich liebt, ist weit!

So brecht hervor nur, alte Lieder,
und brecht das Herz mir ab!
Noch einmal grüß ich aus der Ferne wieder,
was ich nur Liebes hab,
mich aber zieht es nieder
vor Wehmut wie ins Grab.

Rainer Maria Rilke: Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

(1902, aus: Das Buch der Bilder)

Matthias Claudius: Kriegslied

1778

’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten, und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch‘ und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten, und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!